Verspielt wie Harry Potter
Erst abgelehnt, dann mit Preisen überhäuft: Das Krimi-Debüt von Catherine O’Flynn
Die detektivische Neugier eines kleinen Mädchens wird ihm zum Verhängnis: Die altkluge Kate Meaney, die am liebsten Menschen beobachtet und Vermutungen über sie anstellt, verschwindet spurlos. Fast zwanzig Jahre später sieht der Wachmann eines Einkaufszentrums auf den Überwachungsbildschirmen das Mädchen wieder vor den Banken stehen, die sie am liebsten beobachtete. Es dauert eine Weile, bis ihm klar wird, dass nur er sie sieht. Und das ist kein Zufall.
Von da an gilt es herauszufinden, „Was mit Kate geschah“. Der Debütroman der Britin Catherine O’Flynn hat einen steinigen Weg hinter sich: Erst wurde er immer wieder von Verlagen abgelehnt, dann mit Literaturpreisen überhäuft. Beides, so zeigt sich beim Lesen des Buches, hat seine guten Gründe. Denn originell ist wenig an der Geschichte. Das verschwundene Mädchen, dessen Geist nicht zur Ruhe kommt, ist nicht nur im Horror-Bereich schon ewig ein beliebtes Motiv. Auch der in einem langweiligen Job gestrandete Wachmann, der plötzlich etwas Paranormales sieht, zählt zu den Klassikern. Dass ein Verlag bei dieser Kombination vom Gähnen überwältigt wird, wundert also nicht. Doch das Buch hat andere Qualitäten.
Bewusstseinsströme
Da ist zum einen der feine, manchmal leicht zynische Witz von O’Flynn. Gleich zu Beginn fährt Kate im Bus mit lauter Rentnern und stellt sich vor, sie würde die darin beworbene Werbefläche mieten – „und was sie anpreisen würde, wenn sie es täte. ‚Erleben Sie meine große blaue Karomuster-Einkaufstasche, sie ist voll mit Katzenfutter’, lautet eine ihrer Ideen, eine andere: ,Ich rede mit jedem über alles. Außerdem esse ich Kekse.’“
Auch gelingt es der Autorin, die Menschen im Einkaufszentrum mit ihren jeweiligen Lebenswelten einzubinden. Bewusstseinsströme ziehen den Leser zum Moderator des Einkaufsradiosenders, einem Mann, der vor Wut beim Warten auf seine Frau fast durchdreht, zu Klebstoff schnüffelnden Jugendlichen auf dem Dach. Auf diese Weise verstärkt sich das Gefühl, man sitze dort und beobachte die vorübergehenden Menschen. Leider passiert im Mittelteil des Buches nicht viel mehr.
Erst als die ebenfalls in den Fall verstrickte Lisa in das Leben des Wachmanns Kurt tritt, kommt einiges in Gang. Und auch Kates Verschwinden, für das es keine Erklärung zu geben scheint, wird am Ende auf Umwegen aufgelöst. Die Filmrechte für diesen Stoff sind an David Heyman, den Produzenten der „Harry-Potter“-Filme, vergeben. Ähnlich wie jene muss man sich den Roman vorstellen: spannend, aber verspielt.
Julia Bähr
Catherine O’Flynn: „Was mit Kate geschah“ (Atrium Verlag, 270 Seiten, 19.90 Euro)