Verschwenderische Sterne

Eine Ära geht triumphal zu Ende: Dieter Dorns Inszenierung von Kleists „Das Käthchen von Heilbronn” am Staatsschauspiel versammelt noch einmal ein wunderbares Ensemble
Gabriella Lorenz |
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Wohl zum ersten Mal in seinem Leben hat niemand auf seine Regie-Anweisung gehört. Nach zehn Minuten Applaus rief Dieter Dorn befehlend „Out!” ins Publikum. Doch das feierte ihn und sein Ensemble unbeirrt weiter mit Jubelstürmen und Standing Ovations. Mit dieser gewaltigen Kleist-Aufführung beendet Dorn seine zehnjährige Intendanz am Bayerischen Staatsschauspiel sowie ein großes Kapitel der Münchner Theatergeschichte, das er davor schon 25 Jahre an den Kammerspielen geschrieben hatte. Mit Dieter Dorn geht eine Ära zu Ende. Im Sommer 2011 gibt er die Intendanz ab. Mit dem „Käthchen” hat Dorn noch einmal seinen Theaterkanon und sein Credo inszeniert.

Wohl noch nie hat jemand „Das Käthchen von Heilbronn” ungestrichen gesehen. Deshalb dauert es auch fünf Stunden (zwei Pausen). Aber man hat Kleists hochkomplizierte Spachsyntax auch noch nie in dieser sprachlichen Klarheit und Präsizion gehört, die einen von Anfang bis Ende in Bann zieht und alles verständlich macht. Sprache ist Dorns Credo Nr. 1 und Nr. 2 sind die Schauspieler. Da kann er hier die Sterne seines Ensembles verschwenden. Oliver Nägele ist ein scharfer Wüterich als Käthchens Vater, Cornelia Froboess eine höchst maliziöse Gräfin-Mutter, Jennifer Minetti eine groteske Kunigunden-Tante, Helmut Stange ein skurriler alter Diener. Heide von Strombeck verzaubert als Traumerzählerin, Rudolf Wessely als Hüttenbewohner Jakob Pech. Michael von Au als tragikomischer Rheingraf und Shenja Lacher als tumber Burggraf bringen die Komik in ihren Schwertkämpfen. Und und und – die 31 Darsteller plus Regieteam passen beim Schlussapplaus gar nicht nebeneinander an die Rampe.

Ein Traumpaar

Mit Graf Strahl und Käthchen hat Dorn ein Kleistsches Traumpaar inszeniert, wie es nur selten gelingt: Das traum- und wahnbefangene Käthchen spielt Lucy Wirth mit solch bodenständiger Überzeugungskraft, dass sie selbst die überstrapazierte Anrede „Mein hoher Herr” jedesmal mit neuem Leben füllt. Und Felix Rech zeigt in der schweren Rolle des Grafen eine Glanzleistung im ständigen Oszillieren zwischen der Verliebtheit, die ihm sein Stand verbietet, und der Abweisung, die er wider Willen zeigen muss. Wie er sich in der Schlafszene, als er Käthchens Traumgeheimnis erfährt, neben und über ihr liegt, immer in Versuchung, die unterdrückte Zärtlichkeit körperlich zu erlösen: Das ist hinreißend.

Und Dorn hat mehrere solcher Momente inszeniert, wo alles hollywoodreif in einem Kuss münden müsste, aber er verweigert es. Dazwischen funkt die betrügerische Kundigunde, die sich den Grafen Strahl krallen will, und er fällt auf ihre gefakte Schönheit rein. Sunnyi Melles spielt ein Kunstprodukt auf zwei Ebenen: Hier ein schlankes, elegantes Showgirl, dort ein verkrümmt hinkendes Krüppelwesen, das sie hysterisch kreischend zu verbergen sucht, sich dessen aber an ihrem Putztisch sehr bewusst ist.

Nr. 3 von Dorns Theatercredo ist die Regie. Und hier bedient er alle Genres: Vom konventionell chorisch inszenierten Femegericht bis zur Schauerromantik, von der Ritterparodie mit galoppierenden Pferden bis zur Personengroteske. Und so wie Dorn zeigt, was er mit Sprache und Schauspielerführung erreichen kann, zeigt er es auch in der Technik. Mit seinem kongenialen (T)Raumerfinder Jürgen Rose hat er weder Prospekte noch Maschinen geschont. Aus einer Styroporwand vor der Brandmauer bricht eine Engelssilhouette heraus, durch die steigt der Regisseur Dorn als Spielleiter, winkt seine Schauspieler auf die Bühne und geht ab durch die Mitte – ein Statement des scheidenden Intendanten.

Rose und Dorn erfinden aus dem Nichts wunderbare Bilder. Feuerschein, explodierende Brandbomben, da fallen Schlösser in sich zusammen. Außenräume werden mit ein paar Wandwinkeln zu Innenräumen, kleine Hütten versinken im Nichts, die weiße Brandmauer wird per Prospekt dupliziert und dann wieder von einem schwarzen Prospekt ironisiert. Dorns Bekenntnis zum Theaterguckkasten demonstriert sogar der Samtvorhang mit einem darauf projizierten Guckkasten.

Was er wirklich will, zeigt Dorn in seinen eigenen Auftritten: Anfangs bricht aus einer Styroporwand die Silhouette eines Cherub, aus der Dorn als Spielleiter heraustritt. Aus derselben Silhouette tritt er am Schluss als Kaiser, der das Käthchen an seine Brust drückt.

Gabriella Lorenz

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