Verloren in Gefühlen

Jean Racines Tragödie „Andromache“ hat heutein der Inszenierung von Hans-Ulrich Becker im Cuvilliés Theater Premiere. Ulrike Arnold spielt die Titelrolle – eine Kriegsbeute-Sklavin
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Jean Racines Tragödie „Andromache“ hat heutein der Inszenierung von Hans-Ulrich Becker im Cuvilliés Theater Premiere. Ulrike Arnold spielt die Titelrolle – eine Kriegsbeute-Sklavin

Orest liebt Hermione. Hermione liebt Pyrrhus, den sie heiraten soll. Pyrrhus liebt Andromache, die Witwe des trojanischen Helden Hektor, die als Kriegsbeute-Sklavin mit ihrem Sohn an seinem Hof lebt. Aber Andromache liebt nur den toten Hektor. Racines 1667 uraufgeführte Tragödie „Andromache“ hat heute im Cuvilliés Theater Premiere, in der Inszenierung von Hans-Ulrich Becker spielt Ulrike Arnold die Titelrolle.

AZ: Frau Arnold, Sie kennen die Härten des Schauspieler-berufes. Sie haben viele Jahre an Münchner Privattheatern gespielt, am Teamtheater, am TamS, am Metropol-Theater, ehe Sie 2002 ans Staatsschauspiel kamen.

ULRIKE ARNOLD: An den kleinen Bühnen mussten wir alle neben den Proben Geld verdienen, um uns das Theaterspielen leisten zu können. Ich habe als Sprecherin beim BR gearbeitet. Das war ein wahnsinniger Stress, oft hetzte ich von der Frühschicht zur Probe. Andere haben gedreht, synchronisiert oder 50-Mark-Jobs gemacht, das konnte auch in der Kneipe sein. An kleinen Theatern ist das heute noch so.

Sie haben viel mit dem Schauspieler und Regisseur Gerd Lohmeyer gearbeitet, mit ihm gemeinsam auch Regie geführt. Als er 2001 „Die wundersame Überquerung der Würm“ von Philip Arp für die Kammerspiele inszenierte, spielten Sie mit. Das war Ihr Einstieg ins Stadttheater.

Dieter Dorn holte mich später als Einspringerin für seine „Pancomedia“-Inszenierung ans Residenz Theater und dann ins Ensemble. Das ist schon ein anderes, geregelteres Arbeiten. Ich empfinde es als großen Luxus, mich konzentriert in eine Sache reinarbeiten zu können.

Andromache ist zwar die Titelfigur der Tragödie, aber nicht die Hauptperson.

Ich sehe alle vier Liebenden – Orest, Hermione, Pyrrhus und Andromache – als gleichwertig und gleich spannend. Vielleicht hat Racine Andromache zur Titelfigur gemacht, weil sie Sklavin und Opfer ist. Es ist überliefert, dass Racines Publikum sehr mitgelitten, mitgeweint und sich identifiziert hat. Dafür bietet sich Andromache an.

Die anderen drei schwanken immer wieder in ihren Gefühlen, Andromache dagegen ist absolut festgelegt auf die Treue zu ihrem toten Mann.

Sie ist eigentlich die einfachste Figur, aber deshalb schwer zu spielen. Was ist das, diese Liebe zu dem toten Hektor, dieser Auftrag, den er ihr gegeben hat, sein Kind als Pfand der Treue zu erziehen? Sie muss den Sohn immer als Hektor ansehen und ihm gleichzeitig Hektor ersetzen. So ein Auftrag reicht, um schwerste Verwirrungen hervorzurufen. Um von der Opferhaltung wegzukommen, haben wir versucht, die Strenge herauszuarbeiten, die ihr auferlegt ist.

Selbst als sie das Leben ihres Sohnes, das die Griechen fordern, retten könnte, indem sie Pyrrhus heiratet, lehnt Andromache zunächst ab.

Für eine Mutter braucht sie sehr lange, bis sie sich ernsthaft auf ein Gespräch mit Pyrrhus einlässt. Sie ist viel mehr Witwe als Mutter. Sie nennt ihren Sohn auch selten beim Namen, meist sagt sie „das Kind“. Wie sie sich im Dilemma bewegt, den Sohn zu retten und Hektor treu zu bleiben, das ist spannend. Nie ist sie fröhlicher, als wenn sie die List entwickelt, die Verbindung mit Pyrrhus einzugehen und sich dann umzubringen.

Mit dem Tod spielen und drohen alle vier Figuren.

Alle sind aggressiv und verbohrt. Jeder will was und keiner kriegt’s. Da heißt es immer gleich: Entweder du stirbst oder ich sterbe. Keiner erfüllt seine politische Rolle, sie lassen sich treiben von ihren Leidenschaften und verlieren sich im Gefühl. Das sind alles traumatisierte Menschen nach einem Krieg.

Aber am Ende ist Andromache die einzige Überlebende der vier – und als Pyrrhus’ Witwe Königin von Epirus.

Sie ist die einzige Siegerin. Mit unglaublicher Schnelligkeit besetzt sie das Machtvakuum und hat am Ende eine doppelte Witwenschaft angenommen. Sie will Hektor rächen und vielleicht auch Pyrrhus – das sieht nach Krieg aus und zeigt die Ambivalenz und Stärke dieser Figur. Es ist ein sehr trauriges Stück. Jeder bastelt an seinem eigenen Weg, und dabei geht es um Mord und Selbstmord. Man muss auch Lust haben auf diesen Untergangs-Blues, aber die Auseinandersetzung damit lohnt sich.

Gabriella Lorenz

Cuvilliés Theater, heute, 20 Uhr, Karten: Tel.21851940

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