Verlierer sind interessanter

Bestsellerautor Gianrico Carofiglio über seine Arbeit als Staatsanwalt und Politiker sowie seine Hauptfigur, einen Anwalt aus Bari
Günter Keil |
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Bestsellerautor Gianrico Carofiglio über seine Arbeit als Staatsanwalt und Politiker sowie seine Hauptfigur, einen Anwalt aus Bari.

 Anti-Mafia-Staatsanwalt, Mitglied des italienischen Senats und Schriftsteller: Gianrico Carofiglio hat eine bemerkenswerte Biografie. Der 50-Jährige lebt in Apuliens Hauptstadt Bari, wo auch die meisten seiner Bücher spielen. Carofiglios literarische Kriminalromane werden in 24 Sprachen übersetzt und erreichen eine Gesamtauflage von knapp vier Millionen. In seinem aktuellen Roman „In ihrer dunkelsten Stunde“ (Goldmann) setzt sich die Hauptfigur, Anwalt Guido Guerrieri, mit jugendlichen Drogendealern auseinander.

Signore Carofiglio, was antworten Sie, wenn Sie nach Ihrem Beruf gefragt werden?


GIANRICO CAROFIGLIO: Das kommt zunächst einmal darauf an, wer mich fragt. Aber ganz sicher erwähne ich niemals gleich zu Beginn eines Gespräches, dass ich Politiker bin.

Warum nicht?

Ich fühle mich einfach nicht wie ein Politiker. Das passt nicht zu mir, obwohl ich mich sehr für Politik interessiere und diesen Job wirklich gerne mache. Ich wollte schon immer ein Schriftsteller sein, viel lieber auch als Staatsanwalt – aber trotzdem habe ich diesen Beruf geliebt. Also sagen wir mal, im Augenblick bin ich ein ehemaliger Staatsanwalt, der gerade als Schriftsteller arbeitet und vorübergehend auch Politik praktiziert.

Sie schreiben oft über Einwanderer, Drogenabhängige und andere Menschen am Rande der Gesellschaft. Was reizt Sie daran?

Ganz ehrlich: Ich mag Verlierer, und ich liebe es, ihnen in meinen Büchern eine Stimme und ein Gesicht zu geben. Ich schreibe nicht gern direkt über Politik, sondern transportiere meine politischen Themen über Figuren. Diese Menschen aus Randgruppen sind viel netter und interessanter als die sogenannten Gewinner. Unter den Außenseitern kann man wesentlich mehr Menschlichkeit finden – und spannendere Geschichten.

Ihre Hauptfigur, der Anwalt Guido Guerrieri, ist ebenfalls ein Außenseiter, der gegen Korruption, Vorurteile und Ignoranz kämpft. Wie reagieren Ihre Kollegen bei Gericht darauf?


Überraschenderweise sind die Reaktionen fast ausschließlich positiv – womit ich keineswegs gerechnet habe. Es gibt sogar einen Anwaltskollegen in Bari, der ganz stolz überall herumerzählt, dass ich ihn mit meiner Hauptfigur meine – was natürlich nicht stimmt.

Sind Sie selbst Guerrieri ähnlich?

Als vor knapp zehn Jahren mein erster Roman mit ihm als Hauptfigur erschien, habe ich die Antwort auf diese Frage noch entschieden verneint. Doch dann merkte ich im Laufe der Zeit, wie gut Guido vor allem bei den Leserinnen ankam. Seitdem stelle ich gerne deutlich unsere Gemeinsamkeiten heraus. Aber ganz im Ernst: Ich glaube, Guido und ich haben den gleichen Sinn für Humor und die gleiche Selbstironie. Wir nehmen uns nicht allzu ernst.

Sie kennen das italienische Justizsystem aus allen Perspektiven. Glauben Sie noch an echte Gerechtigkeit?

Puh, das sind schwere Worte... Lassen Sie es mich so sagen: Wir Anwälte und Richter sollten weiter engagiert daran arbeiten, so nah wie möglich an die sogenannte echte Gerechtigkeit oder Wahrheit zu kommen. Und das, obwohl wir wissen, dass wir dieses Ideal gar nicht erreichen können.

Befanden Sie sich als Anti-Mafia-Staatsanwalt jemals in konkreter Gefahr?

Ja, durchaus. Es gab gefährliche Situationen und ich wurde nicht ohne Grund rund um die Uhr von Bodyguards bewacht. Aber diese Zeiten sind zum Glück vorbei. Ich fühle mich inzwischen total sicher, auch ohne Begleitschutz.

Wie beurteilen Sie den aktuellen Kampf gegen die Mafia?


Es gab in den vergangenen zehn Jahren einige positive Fortschritte und die Situation heute ist wesentlich besser als in der Vergangenheit. Das bedeutet aber auf gar keinen Fall, dass wir den Schutz und die Aufmerksamkeit verringern dürfen.

Sie galten schon immer als Berlusconi-Kritiker. Wie fühlen Sie und Ihre Landsleute sich nun, ein halbes Jahr nach seinem Rücktritt?

Es ist nach wie vor eine große Erleichterung im ganzen Land zu spüren und politisch hat sich zum Glück einiges zum Guten verändert. Für mich hat der Rücktritt noch einen großen persönlichen Vorteil: Als Schriftsteller, der viel im Ausland unterwegs ist, muss ich mich jetzt endlich nicht mehr für unseren Ministerpräsidenten schämen.


Die Lesung mit Gianrico Carofiglio und Heio von Stetten im Münchner Justizpalast ist schon ausverkauft

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