Unerfüllte Sehnsucht - Tschechows "Drei Schwestern"

Im Münchner Volkstheater kombiniert Regisseur Thomas Dannemann Tschechows Psychologie und Brechts Epik, doch nur die Schauspieler retten die „Drei Schwestern“  
Mathias Hejny |
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Im Münchner Volkstheater kombiniert Regisseur Thomas Dannemann Tschechows Psychologie und Brechts Epik, doch nur die Schauspieler retten die „Drei Schwestern".

Naturalismus kann bei Tschechow jeder. Regisseur Thomas Dannemann und sein Bühnenbildner Stefan Hageneier aber stellten sich die Aufgabe, die Bühne des Münchner Volkstheaters völlig naturbelassen zu bespielen.

In der tiefen Schwärze des Raums und umgeben von beeindruckender Veranstaltungstechnik steht nur eine Gartenlaube im Rohbau, die das Haus der Prozorovs repräsentieren soll. Von der Kleinadeligkeit des Offiziers-Clans in der russischen Provinz ist nicht einmal mehr eine Fassade geblieben, hinter die man blicken und die man niederreißen könnte. Vom ersten Moment an ist der Familiensitz ein lästiges Anhängsel, das mit hohem Kraftaufwand gedreht, gezogen und geschoben werden muss.

Den zentralen Satz der „Drei Schwestern“, das Sehnsuchtsmantra „Nach Moskau!", röchelt Irina bei der Bühnenarbeit. Dabei schiebt sie die Hütte auf die richtige Position für den bevorstehenden dritten Akt. Schon zwei Akte vorher war der Abend im Grunde gelaufen, denn Selbstmitleid und Verletztheiten der unter ihren Illusionen längst erstickten Geschwister erscheinen ausweglos. Heulend bricht sich frühzeitig der Traum von der intellektuell und auch sonst befriedigenden Hauptstadt Bahn. Nach dem der aus Moskau versetzte Oberstleutnant Werschinin mit verzweifelter Enthemmtheit begrüßt wurde wie ein Popstar, könnte man den Vorhang auch schließen, denn viel mehr kann nicht mehr passieren.

Einen Vorhang gibt es gleichwohl auch nicht, denn Dannemann wagt den Crossover von Tschechows Psychologie und Brechts Epik. Die erste Sitzreihe ist reserviert für die zehn Darsteller und sieht bald aus wie ein Probenraum: Kostümteile, Perücken, Requisiten, Schminkzeug liegen herum zum schnellen, sichtbaren Umzug im Parkett.

Wenn man den drei Mädels und ihren Jungs dennoch gerne zusieht, liegt das vor allem an der jungen, selbstvergessen einsatzfreudigen Volkstheater-Schauspieltruppe, insbesondere in den Titelrollen: Mara Widmann als liebenswert kümmernde älteste Schwester Olga, Xenia Tiling als eine Mascha zwischen Rockerbraut und trostbedürftigem Mädchen, sowie Lenja Schultze als elegante Irina mit den möglicherweise schönsten Beinen der 111-jährigen „Drei-Schwestern"-Geschichte.

Münchner Volkstheater,
Samstag, Sonntag, 26. Mai,
1., 2., 8., 9., 18., 25. Juni, 19.30 Uhr,
Tel.: 5234655


 

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