Unbekannte Saiten

Mit seiner Gambe baut Jordi Savall Brücken - im aktuellen Programm zwischen Orient und Okzident. Damit führt der Katalane sein Publikum in mittelalterliche, längst vergessene Welten. Das für Donnerstag, den 22. April geplante Konzert musste kurzfristig auf den 17. Mai verschoben werden.
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Mit seiner Gambe baut Jordi Savall Brücken - im aktuellen Programm zwischen Orient und Okzident. Damit führt der Katalane sein Publikum in mittelalterliche, längst vergessene Welten. Das für Donnerstag, den 22. April geplante Konzert musste kurzfristig auf den 17. Mai verschoben werden.

Gamben-Guru, Dirigent, Forscher, Manager - der Katalane Jordi Savall ist alles. Und das höchst erfolgreich auf höchstem Niveau. Ausgerechnet mit Alter Musik. Heute kommt er mit seinem Weltmusik-Programm "Orient und Okzident" in den Herkulessaal.

AZ: Senyor Savall, wie halten Sie's mit der Verwandtschaft?

JORDI SAVALL: Na ja, wir treffen uns an Weihnachten. Und auf Beerdigungen. Sprechen wir jetzt über die Familie?

In Ihren Konzerten zeigen Sie uns ständig, dass wir alle miteinander verwandt sind.

Die Musik ist heute noch die einzige wirklich starke Verbindung zwischen Menschen ganz verschiedener Kulturen. Und wenn ich an Orient und Okzident denke, sind die Brücken schon so lange zerstört.

Seit der Reconquista?

Ja, mit der Vertreibung der Juden und Araber aus Spanien wurde die Verbindung zur orientalischen Welt völlig zerstört. Daraus resultierte die totale Konfrontation. Die Musik liefert Möglichkeiten der Verständigung, in der Musik sehen wir, dass da auch viele Gemeinsamkeiten sind.

Verbringen Sie mehr Zeit beim Musizieren oder in Archiven?

Beim Musizieren, ganz klar.

Die Kirche lässt sich nicht so gerne in die Archive schauen, hatten Sie je Schwierigkeiten?

Oh ja, besonders in Spanien. Auf den Kanarischen Inseln habe ich in einem sehr wichtigen Klosterarchiv für die Musik der Neuen Welt Kurioses erlebt. Als ich vor Ort katalogisierte, also existierende Manuskripte einsehen wollte, waren sie urplötzlich verschwunden. Wir haben Interpol eingeschaltet, eine Woche später war alles wieder in der Mappen.

Sehen Sie, ein Wunder!

Und was für eins!

Erklären Sie uns den Begriff Weltmusik? Der hat hier einen sehr esoterischen Touch.

Ach ja? Für mich ist das Musik verschiedener Länder und Kulturen, gespielt von Musikern unterschiedlicher Herkunft. In unserem Programm sind das ein Marokkaner, ein Grieche und ein Spanier. Bei uns stammt diese Musik meistens aus traditionellen Quellen.

Ist das der Unterschied?

Allerdings. Und wir versuchen zu zeigen, dass es diese Weltmusik schon im Mittelalter gab. Auch die wechselseitigen Einflüsse zwischen raffinierter höfischer Musik und volkstümlichen Traditionen.

Wie kommen Sie denn an das arabische Material?

Was wir spielen, stammt zum Teil aus mündlichen Überlieferungen, notiert von Musikwissenschaftlern im 19. Jahrhundert. Oder aus einem Manuskript des Universalgelehrten Dimitri Cantemir, einem moldawischen Zeitgenossen Bachs, der lange in Istanbul gelebt und dort Musik in einem Traktat zusammengefasst hat.

Hört man diese ganzen Zusammenhänge auch als ganz normaler Konzertbesucher?

Doch. Auch wenn das manchmal sehr subtil ist. Wir spielen zum Beispiel Stücke aus der sephardischen, also der jüdischen Tradition Spaniens und verfolgen diese weiter nach Istanbul oder Smyrna. Das bekommt dann eine lokale Prägung, aber die Melodie bleibt.

Sie verkaufen Tausende von CDs. Ihr Rezept?

Wir geben uns sehr viel Mühe, schöne Projekte zu machen, gut präsentiert, mit bester Klangqualität. Und wir haben einen Vorteil: die Freiheit.

Sie haben Ihre eigene Plattenfirma.

Genau. Wir erlauben uns Projekte, die ein grosses Label nie machen würde.

Hat Ihnen der Gerard-Depardieu-Film "Die siebte Saite" geholfen? Für den haben Sie die Musik zusammengestellt.

Natürlich! So wurden Leute mit Barockmusik konfrontiert, die das sonst nie hören würden. Wir ahnten nicht, dass das so populär wird. Monatelang waren wir in den Top Ten. Gleich nach Michael Jackson.

Bei Ihnen geht es 24 Stunden am Tag um die Musik?

Ich habe das Glück, dass ich viel mit meiner Frau (Anm.: Sängerin Montserrat Figueras) zusammenarbeiten kann. Und ich bin jeden Tag in Kontakt mit Genies wie Bach, Monteverdi. Gestern hat jemand nach der h-moll-Messe - es war halb zwölf - gefragt: ,Jordi bist du nicht fertig?' Nein, hab ich gesagt, ich bin voll Energie! Das schafft die Musik.

Sie brauchen also weder Gartenarbeit noch Sport?

Sagen Sie das nicht, heute Morgen war ich eine halbe Stunde im Garten, die Fische im Teich füttern, dann ein bisschen Sport. Abgesehen davon bin ich Vegetarier, da hat man einen intensiven Bezug zum Garten. Aber das wichtigste im Leben ist eine gute Harmonie. Ich sage immer: Man macht so Musik, wie man ist.

Christa Sigg

Das Konzert am Donnerstag, den 22. April, im Herkulessaal mußte kurzfristig auf den 17. Mai, 20 Uhr verschoben werden.

Jordi Savalls Brief

Sehr geehrte Damen und Herren, ich bin untröstlich, unser Konzert heute in München absagen zu müssen.Die durch den Vulkanausbruch entstandene Situation auf den Flughäfen ist weiterhin so unsicher und chaotisch, dass es immer noch ungewiss ist, ob es uns Musikern gelingt, rechtzeitig nach München zu kommen. Ich bitte um Verständnis dafür, dass wir bei den hektischen und unberechenbaren Umständen einer Reise am heutigen Tag die für ein Konzert unbedingt nötige innere Ruhe nicht hätten. Ich bedaure zutiefst, Ihnen diese Nachricht übermitteln zu müssen. Auch für mich ist es eine große Enttäuschung, dass wir heute nicht auftreten können. In enger Abstimmung mit dem Veranstalter kann ich als Ersatztermin für dieses Konzert den 17. Mai 2010 (Herkulessaal der Residenz) bestätigen. Ich freue mich sehr, dann nach München zu kommen und Sie alle im Konzertsaal begrüßen zu dürfen.

Jordi Savall, Barcelona, 22. April 2010

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