Umjubelt: "Dreigroschenoper wieder in München
MÜNCHEN - Dem Publikum hat es gefallen: Am Samtagabend feierte Christian Stückls Inszenierung von Bertolt Brechts "Dreigroschenoper" im Volkstheater Premiere.
„Und der Haifisch, der hat Zähne“, heißt es in der berühmten Moritat von Mackie Messer. Regisseur Christian Stückl und sein Bühnenbildner Stefan Hageneier haben diese Zähne frech umfunktioniert in das Klappmaul einer überlebensgroßen runden Menschenfratze, die sich als Firmenlogo des Bettlerkönigs Peachum drohend vom Bühnenboden aufstellt. Die ist zwar nicht spitzzähnig, aber ein Schlund, der fast jedem eine Höllenfahrt à la Don Giovanni verspricht. Die Hölle, in der hier alle schon gelandet sind, ist in Stückls „Dreigroschenoper“ im Volkstheater ein zeitloser Rummelplatz, eine lebende Geisterbahn.
Stefan Hageneiers Bühne ist die halbe Miete für diese Jahrmarkts-Revue, als die Stückl das Musik-Stück von Bert Brecht und dem Komponisten Kurt Weill aus dem Jahr 1928 inszenierte. Ein Halbrundhorizont mit der verblassten Aufschrift „Honey Island“ suggeriert Liebesgeturtel zwischen dem Gangster Macheath und seiner Braut Polly, der Tochter des Mafia-Bosses Peachum, der die Bettler Londons zu seinem Nutzen gut organisiert hat. Die Hochzeit in einem Stall mit Macheath's Gaunerclan wird schnell zur Machtprobe: Da rammt Mackie einem, der das Messer nicht anständig zu benutzen weiß, selbiges schon mal in die Hand. Polly klärt auch bald die Verhältnisse: Aus dem Bravmädchen im Sekretärinnen-Outfit wird eine Ballerina im Pink-Tutu. Sybille Lambrich ragt mit ihrer musical-geschulten Stimme sängerisch aus dem Ensemble hervor, darstellerisch bleibt sie der Wandlung von der Verliebten zur coolen Geschäftsfrau einiges schuldig.
Pascal Fligg ist ein sehr brachialer Macheath, der zwar die klassischen Gangster-Duell-Posen drauf hat, aber nicht die elegante Aasigkeit, mit der er angeblich alle Weiber rumkriegt. Im zweiten Teil forciert er dann sehr als Macho, das kann sich ja noch einschleifen. Seine Polly hat angesichts des Galgens kaum mehr einen Blick für ihn, eine andere Geliebte Lucy (Kristina Pauls) umgarnt ihn als mondäne Kokotte: Wie die beiden an ihm hängen und zerren, während er sich zwischen zwei Handketten windet, ist eine der stärksten Szenen.
Gesteigertes Tempo
Doch nach der Pause wird Stefan Ruppe als Peachum zum Protagonisten: In seiner schmuddeligen Zirkusdirektor-Livree über fleckigem Unterhemd zieht er mit seinem Taktstöckchen hervorragend die Strippen und das Publikum in seinen Bann. Der Polizeichef Tiger-Brown bleibt bei Tobias van Dieken eine Comic-Revue-Figur. Wirklich berührende Momente schafft Xenia Tiling als Spelunken-Jenny: Ergreifend brüchig und zerstört zieht sie das Fazit ihres Lebens und ihrer Liebe zu Mackie.
Eine Drehbühne, ein Bett, in dem nach einer Nebelschwade jemand anders liegt, das aufklappende Kapitalistenmaul der Peachum-Firma, ein plötzlich erstehendes Gefängnis-Zellen-Gerüst: Stückls Inszenierung schafft ZirkusAtmosphäre. Dazu helfen die acht Musiker der Alien Combo unter Leitung von Micha Acher in ihren senfgelben Sergeant-Pepper-Livrees im Orchestergraben: Alles ist wunderbar schlank und transparent instrumentiert. Und fast alle Schauspieler werden davon trotz manchmal mangelnder Stimmqualitäten gut getragen.
Kapitalismus- oder Sozialkritik ist hier nicht angesagt. Stückl inszeniert einfach stimmige Bilder des menschlichen Panoptikums - wenn auch zum Teil sehr gruselig. Peachums Bettler sind von Hageneier so scheußlich ausstaffiert, dass es weh tut, sie anzuschauen. Und die blanken Plastik-Busen der goldglänzenden Prostituierte nützen sich bei längerem Hinsehen auch ab. Aber dann fällt der „Honey-Island“-Rundhorizont, und enthüllt ein Gefängnis-Gerüst - das ist eben so überzeugend wie die Dreh- und Klappbühne. Die Inszenierung jedoch läuft wie das geniale Bühnenbild nur halbrund. Sie hat Längen und Rhythmusprobleme im ersten Teil, nimmt dann aber Fahrt auf.
Gabriella Lorenz
Volkstheater, 24. Jan., 2., 3., 4., 15., 16., 21., 22., 27. Feb (alle ausverkauft), 1. März, 19.30 Uhr, Tel. 523 46 55
Die Premierenfeier
Von der Maximillianstraße schaut man immer irritierter zur Brienner Straße, wo Intendant Christian Stückl am Volkstheater seine Erfolgs-Ära unaufhörlich ausbaut. Mit elf Vorhängen und Gekreische wie bei einem Popkonzert wurde Brecht/Weills „Dreigroschenoper“ sensationell gefeiert. Die anschließende Party im Foyer mit Schauspieler und Publikum, darunter Bürgermeister Hep Monatseder, Weihbischof Wolfgang Bischof, den Top-Journalisten Hans Werner Kilz (Ex-„SZ“-Chef ) mit Spiegel“-Amazone Bettina Musall und Helmut Markwort (Ex-„Focus“-Boss) mit „Bunte“-Chefin Patricia Riekel, Fremdenverkehrschefin Gabriele Weißhäupl, Sporthaus-Senator Gerd Bittl, der Oberammergauer Jesus-Darsteller Frederik Mayet mit Freundin Veronika Hecht und der Komponisten-First-Lady Dunja Siegel, dauerte bis halb fünf. Da wurde immer noch zwischen Bar-Tresen und Garderobe getanzt.
Hausherr Christian Stückl fuhr um diese Zeit nicht mehr heim nach Oberammergau, sondern übernachtete in der Theaterwohnung. Er trank „Flieger“-Bier und Cappuccino, und zog nonstop an einer Zigarette, wie auch die Schauspieler auf der Bühne, und war sehr zufrieden. Premiere. Das richtige Gefühl dafür bekäme er aber immer ein paar Tage nach der Premiere.
Sein junges Team hat Zähne. Ganz tapfer war die 22-jährige Polly-Akteurin Sybille Lambrich. Sie kam mit blauen Krücken zum Premieren-Fest, bei dem der Schauspieler und Filmpreisträger Friedrich Mücke auflegte, 80er Musik, James Brown und Hits von heute. Polly hatte sich bei der Hauptprobe beim Treppensteigen einen Knöchel verknackst und musste vom Arzt behandelt werden. Mit Schmerztabletten und Schmerzsalbe meisterte sie, wie ein Indianer, der keinen Schmerz kennt, die Premiere.
„Mackie-Messer“-Held Pascal Fligg, der sich den beruflichen Feinschliff in Bochum holte und im Privatleben noch Single ist, erschien mit einer Lady an der Bar. Es war seine Lehrerin vom Gymnasium, die ihm schon während seiner Schulzeit die Empfehlung gab, Schauspieler zu werden. Neben Kristina Pauls’ perfektem Po-Einsatz im weißen Mini mit Wagenrad-Hut waren die üppigen Fellini-Brüste der sieben Dirnen (Sängerinnen) auf der Bühne der Party-Haupt-Gesprächsstoff. Wie herkömmliche Hollywood-Mogelpackungen waren sie aus Silikon, aber erstmals außen getragen. Die exzellente Modellierkunst weiblicher Oberweiten stammte von Bühnenbildner Stefan Hageneier, der sich da gut auskennen.
Michael Graeter