Überall nur Nacktfürchter

Hans Söllner hat sich für sein neues Tourplakat ausgezogen – aber die Veranstalter wollen es nicht aufhängen. Im Gespräch erklärt er, warum diese Gesellschaft das Alter so entwertet hat
Christian Jooß |
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Ich mag nicht mit Gesundheitsschuhen, Cordhosen und einem Korsett wegen meinem Ranzen rumlaufen,“ sagt Hans Söllner und sitzt in einer Adidas-Trainingsjacke in der Küche seines Plattenlabels Trikont in Giesing. Auf seinem aktuellen Plakat hat er, soweit man sehen kann, gar nichts an. Und hat darauf erstaunliche Reaktionen bekommen.

Die Veranstalter hängen sein Plakat im vorauseilendem Gehorsam nicht auf, weil es Ärger geben könnte. Andere pappen den Konzerthinweis über die anscheinend entscheidende Stelle. Und ob Großstadt oder Land, die Nacktfürchter sind überall anzutreffen. In Freiburg hat er mal eins hängen sehen. Aber der Bauer auf dem Land, sagt Söllner, der weigert sich, seinen Schuppen für dieses Plakat zur Verfügung zu stellen.

Jetzt könnte man meinen, die ganze Aufregung würde sich auf den Joint beziehen, den Söllner auf diesem Foto raucht. Ist aber nicht so. Denn angezogene Kifferfotos hat er als kleine Plakate schon aufhängen lassen – und über die hat sich niemand beschwert. Es geht ums Nacktsein und um einen Körper, der nicht mehr aussieht wie Mitte 20: „Ich finde es schäbig, das Gleichaltrige, die die selben Probleme haben – faltig und einen Ranzen – dass die sagen, das ist grausig. Dann sagen sie ja praktisch zu sich selbst, ich bin grausig. Ich fühl’ mich nicht grausig. Ich bin 56 Jahr’ und ich steh’ gut da.“ Im Grunde stehe er ja auch so vor der Polizei, wenn die drei Gramm Marihuana bei ihm findet, sagt Söllner: „Dann muss ich mich nämlich ausziehen und dann schaun sie sich meinen Schwanz und meinen Arsch auch an.“

Die Leute sollten verdammt nochmal anfangen, zu sich zu stehen

Exhibitionismus? Leicht sei ihm dieses Foto nicht gefallen. Gleich unter dem Bildrand beginnt ein Slip, denn selbst alleine vor dem Fotografen wollte er sich nicht ganz nackt ausziehen. Möglich, dass Söllner, der als Liedermacher gerne mal zum Performancekünstler wird, intuitiv weiß, was unsere Gesellschaft rotieren lässt. „Uns wird unser Alter vorenthalten“, ist die Erkenntnis aus den Plakatreaktionen. Label-Chef Achim Bergmann ergänzt: „Das gehört nicht zur Wachstumsphilosophie unserer Gesellschaft und Industrie.“

An jeder Bushaltestelle sieht er sie hängen, die halbnackten Mädels und Buben. „Keine Falten, keine Leberflecken, keine Altersflecken“, tobt Söllner: „Es geht um das Bild von den Menschen da draußen, wie sie gerne wären, aber selber nicht sind. Sonst tät doch mal einer Werbung für Slips machen, der 53 ist.“ Die Alten, sie tauchen schon in der Werbung auf – die fitten Alten. Und selbst die, die Werbung für Mittel gegen Blasenprobleme und Haftcreme machen, schauen so blendend aus, dass einem schlecht werden könnte: „Alter ist nur deshalb so ein wahnsinniges Geschäft, weil sie das Alter so entwertet haben, dass du alles dafür tust, nicht alt zu werden und alt auszuschauen.“ Und was bleibt einem nach fünfzehn Jahren Kindererziehung. Didgeridoo zu lernen? Sich von Schamanenglöckchen bebimmeln zu lassen? Die Esotherikschiene?: „Das Problem ist, dass du dich dadurch nicht findest. Du bist ja nur auf dem Weg von dir weg.“

10000 Plakate hat er drucken lassen. Erstaunlicherweise sind es gerade die Jungen, die ihn begeistert danach fragen. Jetzt wird Hans Söllner sie halt bei seinen Konzerten verkaufen. Und natürlich wäre das Ganze noch ausbaufähig: „Ich mach’ jetzt ein extriges Plakat. So einen Pferdepimmel, den verkauf ich für 10 Euro, den kannst dann da unten hinhängen.“

Nacktheit kann Würde ausdrücken: „Ich wollte rüber bringen, dass ich zu meinem Alter, zu meinem Körper steh’. Und dass die Leute verdammt noch mal anfangen sollten, zu sich zu stehen. Mit ihren Makeln.“ Das ist der Kern der Söllnerschen Botschaft. Die Liebe, die Sehnsüchte, das Kindische – für ihn ist das nichts, was nur die Jugend gepachtet hat: „Es wird bis zu unserem Lebensende so sein, dass wir uns küssen – auch wenn ich mir vorher die Zähne reintun muss.“

Auf www.trikont.de gibt es aktuell die Doku-DVD zu Söllners Wirtshaustour

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