Türen öffnen ins 20. Jahrhundert

Die Konzerte sind das wahre Herz der Salzburger Festspiele. Markus Hinterhäuser ist - noch - für das Programm verantwortlich
von  Abendzeitung

Die Konzerte sind das wahre Herz der Salzburger Festspiele. Markus Hinterhäuser ist - noch - für das Programm verantwortlich

Die Klage ist fast so alt wie die Festspiele und angesichts der verunglückten Opernpremieren nicht ganz von der Hand zu weisen. Aus Münchner Perspektive gelingt in Salzburg aber, was hier weder die Philharmoniker noch das BR-Symphonieorchester oder gar private Veranstalter versuchen: Konzerte, die mehr bieten als einen Gemischtwarenladen mit den üblichen Jubiläumsgipsköpfen im trüb gewordenen Schaufenster.

Der sensible Programmgestalter heisst Markus Hinterhäuser. Er liebt es, sich als Melancholiker zu tarnen, wenn er schwarz gekleidet durch den Festspielbezirk eilt. Er hat aber immer Zeit, zwischen zwei Zigaretten und drei Handy-Telefonaten bei einem Espresso seine Sicht auf Franz Schuberts Liederzyklus "Die schöne Müllerin" zu erläutern, der heuer gar nicht auf dem Programm steht.

Hinterhäusers Geheimnis ist: Er verwaltet Musik nicht nur, er liebt sie, und freut sich auch in der dritten Festspielwoche noch auf die Konzerte. Sie werden heuer durch "Liszt-Szenen" und den "Kontinent Varese" strukturiert. Der Zusammenhang ist wohl bedacht: "Liszt war mehr als ein Frauenverführer, Virtuose und Komponist der ,Ungarischen Rhapsodien'", erläutert Hinterhäuser. "Das Spätwerk öffnet Türen zum 20. Jahrhundert, zu dessen auratischen Figuren Edgard Varese gehört. Dessen Orchesterwerke setzen die Tradition von Liszts symphonischen Dichtungen fort."

Zusammenhänge ohne Zeigefinger

Am Donnerstag und Samstag führen die Wiener Philharmoniker beide Linien zusammen: Riccardo Muti dirigiert Vareses "Arcana" und Liszts "Eine Faustsymphonie". Sowohl für Muti als auch das Orchester ist das ein eher ungewöhnliches Programm, aber Hinterhäuser verwendet viel Zeit darauf, durch persönliche Kontakte eine Situation gegenseitigen Respekts und Vertrauens herzustellen. Die verbreitete Vorstellung, der Einfluss der Philharmoniker würde den Festspielen schaden, nennt er ein "fast schon ärgerliches Klischee" und betont ihre Offenheit für das Neue.

Auf der anderen Seite versteht Hinterhäuser, dass viele Besucher Musik des 20. Jahrhunderts noch immer ungern hören: "Schönberg oder Webern verzichten auf Wiederholungen. Musik, die kaum ans Gedächtnis appelliert, wirkt verstörend. Insofern war der Bruch hier radikaler als in der Bildenden Kunst." Das bedeutet für Hinterhäuser nicht, dem Publikum diese Erfahrung zu ersparen: Er bettet sie sinnvoll ein. Und so traf Liszt heuer nicht nur auf Varese, sondern auf Galina Ustwolskaja, Olga Neuwirth oder György Ligetis Klavieretüden.

Varèse subventioniert Mozart quer

Auf der anderen Seite versteht Hinterhäuser, dass viele Besucher Musik des 20. Jahrhunderts noch immer ungern hören: "Schönberg oder Webern verzichten auf Wiederholungen. Musik, die kaum ans Gedächtnis appelliert, wirkt verstörend. Insofern war der Bruch hier radikaler als in der Bildenden Kunst." Das bedeutet für Hinterhäuser nicht, dem Publikum diese Erfahrung zu ersparen: Er bettet sie sinnvoll ein. Und so traf Liszt heuer nicht nur auf Varese, sondern auf Galina Ustwolskaja, Olga Neuwirth oder György Ligetis Klavieretüden.

Damit ist es bald zu Ende: Hinterhäuser, der sich vergeblich um die Nachfolge von Jürgen Flimm bewarb, wird die Festspiele 2010 interimistisch leiten und verlassen, wenn unter dem neuen Intendanten Alexander Pereira die verspätete Ära von Shareholder Value anbricht.

Im Konzertbereich wäre das gar nicht nötig. Denn die 70 Abende und Matineen erwirtschaften auch unter Hinterhäuser einen hohen Gewinn, der Salzburgs Opernluxus erst möglich macht.

Robert Braunmüller

Restkarten für Konzerte unter www.salzburgerfestspiele.at

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