Träume gebären Gewalt
Aus der freien Szene ans Bayerische Staatsschauspiel: Regisseur Andreas Wiedermann inszeniert Sarah Kanes „Gesäubert“
In München hat er bisher mit ausgefallenen Schauspiel- und Operninszenierungen in der freien Szene Aufsehen erregt. Jetzt führt Andreas Wiedermann (30) erstmals am Bayerischen Staatsschauspiel Regie: „Gesäubert“ von Sarah Kane hat am Sonntag im Marstall Premiere.
AZ: Herr Wiedermann, das dritte Stück der englischen Dramatikerin, die sich mit 28 das Leben nahm, ist voller Gewaltszenen. Warum ist das Ihr Wunschstück?
ANDREAS WIEDERMANN: Ich kenne wenige Stücke, die so lyrisch verdichtet und verknappt sind. Kane untersucht, was Liebe ist, was sie bedeutet und sein kann. Sie beschreibt Beziehungsessenzen, spielt das Leben durch auf engstem Raum. Alle Szenen sind Minidramen, montiert zu großen Bögen. Roland Barthes hat mal Bruno Bettelheim zitiert, dass die Situation eines Liebenden der eines Gefangenen in Dachau vergleichbar sei. Kane hat zwei Welten, das Individualpsychologische und die große historische Komponente, zusammengedacht. Das interessiert mich.
In „Gesäubert“ leben sechs Menschen am Rande einer Institution, vielleicht einer Psychiatrie. Jeder ist in einen anderen verliebt. Der Arzt Tinker quält und foltert sie, um zu sehen, welche Macht die Liebe über sie hat. Da wird eine Zunge rausgeschnitten, werden Füße abgehackt und Genitalien verstümmelt.
Die Autorin rückte durch die schockierenden Bilder ihrer Stücke in den Vordergrund der Aufmerksamkeit. Aber bei ihr ist Gewalt immer ein Resultat der Wünsche und Träume der Figuren. Tinker ist für einige nichts anderes als ein Vollstrecker der eigenen Gedankenwelt. Was tut man, wenn man jemandem begegnet, der sein Herz auf der Zunge trägt und einen verrät? Man möchte ihn sprachunfähig machen, ihm die Zunge rausschneiden. Wenn Carl die Füße abgehackt werden, ist das Ausdruck der Zerstörung der Beziehung zu Rod. Letztlich entspringt alles aus der Vorstellungswelt der Figuren, und die Krassheit der Szenen entspricht der Krassheit der Welt.
Solche Gewalt kann man nicht realistisch inszenieren.
Wir werden keine Pfählung vorführen. Das ist ja auch eine Selbstbestrafung der Figur, die durch den Spielmacher Tinker ausgeführt wird. Wir versuchen, für den Ausdruck von Gewalt Theaterbilder zu finden. Es geht mehr um das Davor und Danach. Woher kommt die Gewalt, wo führt sie hin? Im Marstall sind keine Milieustudien möglich, dazu ist der Raum zu hoch, zu sakral und zu bedrohlich für die Figuren. Er erzwingt Formalisierung.
Sie sollten im Frühjahr 2008 am Resi „Molières Misanthrop“ inszenieren – als Einspringer für Andrea Breth, die abgesagt hatte. Nach vier Wochen Probenzeit haben Sie die Regie niedergelegt. Warum?
Das war eine schwierige Ausgangssituation. Das Angebot kam Knall auf Fall und ich hatte nur drei Wochen Zeit, mich auf diesen großen Klassiker vorzubereiten. Ich musste die Grundpfeiler meiner Vorgängerin übernehmen. Und psychologisch ist es gegenüber den Schauspielern kein Vorteil, wenn Andrea Breth angekündigt ist und nicht kommt. Nach knapp vier Wochen habe ich mich entschieden, das nicht zu machen, und ich denke, das war richtig.
Sie haben nach dem Abitur in Straubing das Theater ImPuls gegründet und vor fünf Jahren auch die Musiktheatergruppe Opera Incognita.
Das ist der Versuch, Klang mit Raum zu verzahnen. Mich interessiert die Architektonik eines Abends, das muss nicht nur Schauspiel sein. Wir glauben nicht an die Trennung der Disziplinen, sondern suchen Projekte, die uns zwingen, in einer eigenen Grammatik und originären Formen zu denken. Unser Ziel ist, eine möglichst große Freiheit in der Auswahl zu haben und so arbeiten zu können, wie wir es dem Stück und uns schuldig sind.
Gabriella Lorenz
Marstall, 22., 23., 25., 30., 31. März, 20 Uhr, Tel.21851940
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