Tot? Doch nicht

Regisseur Dominik Graf setzt im neuen Münchner „Polizeiruf 110” auf grelle Schock-Effekte und drastische Sprache
von  Angelika Kahl

Noch bevor das neue Münchner „Polizeiruf 110”-Ermittlerteam Matthias Brandt und Anna Maria Sturm überhaupt seinen Einstand auf dem TV-Bildschirm feiert, gab es schon jede Menge Ärger. Die BR-Jugendschutzbeauftragte Sabine Mader sieht in seinem zweiten Fall „Denn sie wissen nicht, was sie tun” das „Risiko einer nachhaltigen Angsterzeugung” bei Kindern unter 14 Jahren. In dem Krimi zündet ein religiös motivierter Selbstmordattentäter nach einem Fußballspiel in einer U-Bahn-Unterführung eine Bombe. Der junge Mann liegt im Sterben, nur er weiß, wo sein Komplize eine zweite Bombe hoch gehen lassen will.

Ja, der Krimi ist hart. Der Zuschauer steigt mit Kommissar Hanns von Meuffels (Brandt) in eine Achterbahn voller düsterer Gefühle. Dass Fernsehdirektor Gerhard Fuchs der Empfehlung der Jugendschutzbeauftragten folgte und den Krimi statt sonntags um 20.15 Uhr nun am Freitag, den 23. September, um 22 Uhr zeigt, mutet dennoch mehr als seltsam an. Denn der Münchner „Polizeiruf 110” und seine zuständige Redakteurin Cornelia Ackers stehen seit jeher für mutige Filme. Erinnert sei nur an „Der scharlachrote Engel” von 2005. Heftig wurde die darin enthaltene Vergewaltigungsszene kritisiert. Verschoben wurde der Polizeiruf deshalb aber nicht. Später bekam er sogar den Grimme-Preis.

Dominik Graf hatte damals den umstrittenen Krimi inszeniert. Beim Auftakt des neuen „Polizeiruf”-Gespanns führte er nun wieder Regie. Und empfindliche Gemüter seien gewarnt: „Cassandras Warnung” ist ein Paukenschlag mit grellen Schock-Effekten und einer drastischen Sprache. So wundert es auch kaum, dass das Erste „Cassandras Warnung” just im Sommerloch zeigt, dann, wenn die Bayern noch mitten in den Ferien stecken.

Weniger zart Besaitete aber dürften begeistert sein von Hanns von Meuffels erstem Fall. Der zurückhaltende, etwas altmodisch elegant wirkende Mann sucht den Mörder von Diana Vogt (Alma Leiberg), Ehefrau seines Kollegen Gerry (Ronald Zehrfeld). Schnell stellt sich heraus, das Opfer ist nicht Diana, sondern deren Freundin, die überraschend zu Besuch kam. Verdächtig ist Cassandra, die verschmähte Affäre des Polizisten-Gatten. Und auch die scheint den Irrtum schon bemerkt zu haben. Ein Wettlauf mit der Zeit beginnt.

Mit dem Auftaktfilm des neuen „Polizeiruf 110”-Gespanns Brandt (49) und Sturm (30) gehen Autor Günter Schütter und Regisseur Dominik Graf gleich in die Vollen. Sie halten sich gar nicht erst damit auf, die Zuschauer mit den Ermittlern langatmig bekannt zu machen. Anna Burnhauser (Sturm), junge Polizistin auf dem Land, ist ohnehin noch weit davon entfernt, durch von Meuffels als künftige Assistentin erkannt zu werden. Der Fall ist, wenngleich komplex, extrem packend.

Dass man zunächst nicht allzu viel über den Mann, den es aus Bremen an die Isar verschlagen hat, erfährt, gefällt Brandt sehr gut: „Ich frage Menschen, die mich interessieren, auch nicht als Erstes nach ihrem Lebenslauf.” Spannend dürfte auch werden, wie und ob das Nordlicht für sich die bayerische Landeshauptstadt erobern kann. „Das Ankommen in München wird eine relativ lange Zeit in Anspruch nehmen”, sagt der jüngste Sohn von Willy Brandt. Er selbst kenne „die ganzen Fremdheiten, mit denen ein Nicht-Bayer in München umzugehen hat”. Des Öfteren schon hat er hier gedreht. „Die Stadt heißt einen durchaus Willkommen”, erzählt er. „Bietet einem aber auch große Möglichkeiten, sich nicht dazugehörig zu fühlen. Für mein Empfinden schauen sich die Leute in München erst sehr genau an, mit wem sie es zu tun bekommen. Man muss erst ein paar Runden laufen, um akzeptiert zu werden.”

Der neue „Polizeiruf” jedenfalls überzeugt bereits in der ersten Runde. Ein weiterer Krimi vom Duo Schütter und Graf ist bereits in Planung, erzählt Redakteurin Cornelia Ackers. Beim dritten Fall darf allerdings nochmal Hans Steinbichler ran. „Ich schütze diese aussterbende Gattung, wo ich nur kann”, sagt Ackers und nimmt damit den außergewöhnlichen Charakter der Reihe, die sich gegen das übliche Formatdenken sperren darf, in Schutz. „Es gibt keine Papiere, an die wir uns halten müssen”, erklärt sie. Nicht einmal eine Leiche müsse es geben. Bleibt allerdings zu hoffen, dass mit der Umprogrammierung des zweiten Falls kein Präzedenzfall geschaffen wurde.

Sonntag, 20.15 Uhr, ARD

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