Tondokumente aus dem „Kreis des Zauberers"
Die Manns machen wieder einmal Furore: auf CDs und einer DVD. Mehr als die Hälfte der Tonaufnahmen waren bislang unbekannt und die Filmaufnahmen bekam man höchstens als Schnipsel in einer Ausstellung zu Gesicht. Nun also diese Fülle, ein auf 22 Stunden angelegtes Ton- und Bildprogramm – und doch nur eine Auswahl.
Thomas Manns trostreiches „Lob der Vergänglichkeit“ (1952), das die Zeit als „Seele des Seins“ feiert, wird durch diese bewahrenden Aufnahmen auch zu einem „Lob der Unvergänglichkeit“. Der Hörverlag ist schon länger die erste Adresse für den Hörbuch-Autor Thomas Mann. Hier gibt es die Originalton-Edition.
Hier präsentiert Thomas Mann selbst in seiner unvergleichlichen Sprechkunst die Erzählung „Tonio Kröger“, Auszüge des Hochstapler-Romans „Felix Krull“, des „Joseph“-Romans und des „Erwählten“ sowie die Radioreden an „Deutsche Hörer!“ aus dem amerikanischen Exil, wichtige Vorträge und ein „Wunschkonzert“ (1954). Nun kommen, mit wenigen Überschneidungen, aus dem umfangreichen essayistischen Werk viele seiner mehrsprachigen Reden, Ansprachen und Interviews hinzu. Ausgangspunkt ist das Verzeichnis der Ton- und Filmaufnahmen Thomas Manns von Ernst Loewy, das 1974 den „Gesammelten Werken“ als Supplementband beigegeben wurde.
Man hört ihn besser als je zuvor
Mit detektivischem Spürsinn sind die beiden Herausgeber, Robert Galitz und Kurt Kreiler, den von Loewy verzeichneten Dokumenten nachgegangen und konnten sie durch glückliche Funde wie alte Tonbänder Erika Manns in einem Schuhkarton ergänzen. Jede Aufnahme wird in dem umfangreichen Booklet (248 Seiten) beschrieben, kommentiert und mitunter durch die deutsche Übersetzung des fremdsprachigen O-Tons ergänzt. Viele Bezüge der durchdachten Komposition erschließen sich beim Zuhören. Das gesprochene Wort bietet im Vergleich mit den Druckfassungen oft interessante Varianten.
„Thank you, Mr. Hitler“ – Erika Mann erklärt die sprachliche Weltgewandtheit der Familie mit der Vertreibung ins Exil, das sie zu Weltbürgern machte. Thomas Mann spricht seine amerikanischen Zuhörer auf Englisch an, stellt „The Dangers Facing Democracy“ (1940) ebenso vor wie die Themen der „Joseph“-Romane (1942) und „The War and the Future“ (1943).
Als er kurz nach Kriegsende in der Washingtoner Library of Congress seine Rede über „Germany and the Germans“ als Neu-Amerikaner „englisch redend, oder doch bemüht es zu tun“, einleitet, lacht das Auditorium so, wie es später, im Mai 1955, in Lübeck lachen wird, wenn Thomas Mann als neuer Ehrenbürger eine Anekdote aus seiner Schulzeit zum besten gibt.
Erstaunlicherweise brilliert Thomas Mann auch in amerikanischen Radiosendungen wie „Meet the author“ (1946), in denen er frank und frei bekennt, er sei „als Künstler viel klüger denn als Denker“ gewesen. Und in exzellentem Französisch erklärt er 1949, dass ein „europäisches Deutschland (…) im europäischen Konzert“ nur zusammen mit Frankreich gedacht werden könne. Die Goethe- und Schiller-Reden (1949 und 1955) in Frankfurt am Main, Stuttgart und Weimar halten wiederum das geteilte Deutschland demonstrativ zusammen. Mehr noch: Beklemmend aktuell wirken seine Appelle an die Humanität und die Warnungen vor dem Dritten Weltkrieg.
Unterschiedliche Stimmlagen
Frido Mann, der das Booklet mit einem klugen Vorwort einleitet, weist auf den Unterschied in der Stimmlage seines Großvaters hin, je nachdem ob er einen offiziellen Vortrag gehalten oder ein halboffizielles Interview gegeben habe. Dabei hatten alle Manns einen ähnlichen „Sound“ – in der Mischung aus Klugheit, Witz und Engagement sowie dem unvermeidlichen Füllwort „nicht wahr“. Von der Diktion Klaus Manns, dessen Stockholmer Bekenntnis „You Can’t Go Home again“ (1947) erstmals in voller Länge zu hören ist, unterscheidet sich sein jüngster Bruder Michael mit einer musikwissenschaftlichen Privataufnahme (1970) fast kaum.
Besonders wertvoll sind die Beiträge der Schauspielerin Erika und des Historikers Golo Mann in der zweiten Hälfte der Edition. Erika ist als komödiantisches Talent in der selbsterfundenen Radiosendung „Das Wort im Gebirge“ einfach umwerfend. Die einstige Chefin des Kabaretts „Die Pfeffermühle“, die amerikanische Kriegsberichterstatterin und Korrespondentin der Nürnberger Prozesse erweist sich zusammen mit Golo Mann als polyglotte Sprecherin der Familie, die deren Mythos lebenslang bestens zu bedienen wusste. Dagegen wirkt das Geplauder der Schwester Monika auf Capri weitgehend belanglos.
Gedankenschwer
Die jüngste in der Runde, das einstige „Kindchen“ Elisabeth Mann Borgese, hielt sich lange aus den familiären Fehden heraus und erkor als Meeresbiologin die Weltmeere zum Lebensthema. Über allem thront die kluge, noch im hohen Alter wache und witzige Mutter Katia, deren tiefer Männerton mit der hellen Mädchenstimme der Interviewerin herrlich kontrastiert. Was lässt sich aus dieser Wunderschachtel noch alles heraushören! Und wie merkwürdig wirken dagegen die beiden Stummfilme von 1920 auf der DVD, in denen man Thomas Mann lebhaft in seinem Münchner Haus und Garten agieren, seinen Bruder Heinrich dagegen gedankenschwer am Schreibtisch sitzen sieht.
Dann steht Heinrich – von dem seltsamerweise kein einziges Tondokument überliefert ist – 1926 neben dem Maler Max Oppenheimer, der ein wunderbares Porträt von ihm zeichnet und unterhält sich tonlos mit ihm. Als Pionier des Tonfilms richtet Thomas Mann dagegen im Januar 1929 seine Worte an ein zukünftiges Publikum, das ihn einst sehen und ihm zuhören wird. Es hört ihn jetzt besser denn je!
„Der Kreis des Zauberers. Thomas Mann und Familie. Gesammelte Ton- und Filmdokumente“ (Robert Galitz, Kurt Kreiler (Hrsg.), Der Hörverlag. 17 CDs, 1 DVD, Laufzeit ca. 22 Stunden. 99 Euro). Vorstellung: Donnerstag, 7. Dezember, 19 Uhr, Monacensia, Maria-Theresia-Straße 23. Eintritt: 5 Euro, keine Anmeldung erforderlich
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- Thomas Mann