Tödlich routiniert
David Heiligers hat Franz Xaver Kroetz’ Stück „Wunschkonzert“ von 1971 inszeniert, kann aber trotz der großartigen Darstellerin Annette Paulmann mit der Vorlage nichts anfangen.
Als Franz Xaver Kroetz 1971 sein stummes Stück „Wunschkonzert“ entwarf, hießen ledige Frauen in Deutschland noch Fräulein. Das Fräulein Rasch, das bei der Suttgarter Uraufführung 1973 nach einem gewissenhaft verbrachten letzten Lebensabend Schlaftabletten schluckte, nennt David Heiligers in seiner Werkraum-Inszenierung nun Frau Rasch. Egal.
Nicht egal, dass der Regisseur den realistischen Vorgaben des Autors nicht traut. Mit Video- und Bühnenbild-Mätzchen verschenkt er das Pfund, mit dem er wuchern könnte: die wunderbare Annette Paulmann als Frau Rasch.
Drei exemplarische „Wunschkonzert“-Aufführungen gab es in München: In den 1970ern mit Heidy Forster im Theater 44, 1995 mit Sibylle Canonica in den Kammerspielen, inszeniert von Kroetz selbst. Sogar Alexej Sagerer wagte sich mit Manuela Riva daran. Alle ließen den Schauspielerinnen Raum für ihr Innenleben. Was in einer ältlichen Büro-Angestellten geschieht, die ihre penible, wortlos ausgeführte Feierabend-Routine mit Selbstmord beendet, zeigt Annette Paulmann in großen Momenten.
Aber die erschlägt der 28-jährige Regieassistent Heiligers mit überambitionierten Einfällen. Am Anfang hört man mit Michael Tregors Stimme die Regieanweisungen von Kroetz. Damit ist die ganze Spannung raus, dass die grausame Normalität eines immergleichen Alltags plötzlich tödlich endet.
Kostümjacke reinigen, sich abschminken, den Tisch decken
Heiligers Missverständnis beginnt mit dem von Teresa Vergho verbrochenen Bühnenbild: ein Wohn-Kubus ohne Stuhl, Bett, Bad, dafür mit multifunktionalen Kästen, Hochbord und Katzenklappe. Annette Paulmann muss da durchkriechen und das Zimmer mehrmals eigenhändig um seine Achse drehen. Videokameras zeigen sie aus jedem Winkel, wenn auch häufig ohne Kopf.
„Wunschkonzert“ – diese Sendung moderierte einst Fred Rauch im Bayerischen Rundfunk. Den Titel muss man so ernst nehmen wie Kroetz' Realismus-Vorgaben. Aber wenn sich die Radio-Musik selbsttätig weiterzappt von Billy Joel über Queen und Fleetwood Mac bis hin zu Tinnitus suggerierendem Computer-Dröhnen, erfährt man nie, woran sich Frau Rasch bei diesen Songs erinnert. Warum weint sie eine Weile still in sich hinein? Annette Paulmann zeigt bestechende Intensität: ob sie die Kostümjacke reinigt, sich abschminkt oder den Tisch deckt. Hinreißend komisch ihr Kampf mit einer Schinkenpackung – doch die Kroetz-Figur hätte gleich zur Schere gegriffen.
Eine Tisch-Kiste entpuppt sich plötzlich als Badewanne, in die sich Annette Paulmann lustvoll-verzweifelt stürzt. Ein schöner Überraschungsmoment, der mit Kroetz aber nichts zu tun hat. Hier kann ein Regisseur mit einem Stück nichts anfangen und verrät damit auch seine großartige Protagonistin.
Werkraum, 25., 27. Juni,
19., 20. Juli, 20 Uhr,
Tel.: 23 39 66 00,
www. muenchner-kammerspiele.de
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