Thielemann und die Philharmoniker mit Fidelio
Die Mannschaft gnadenlos ausgebuht, der Trainer bejubelt: Doch trotz der Demütigung musizierten die Philharmoniker wunderbar - und ein begnadeter Dirigent Thielemann zeigte, was München bald fehlen wird.
Die Mannschaft gnadenlos ausgebuht, der Trainer bejubelt: man wähnte sich auf dem Fußballplatz. Es wird wohl noch eine Weile dauern, bis alle Abo-Reihen ihren Mut gekühlt haben. Der Chef demonstrierte Gelassenheit, eilte nach dem Schlußpfiff durch die Reihen des Orchesters, um seinen Dank loszuwerden für ein angesichts der vorangegangenen Publikumsbeschimpfung überraschend konstruktives Miteinander.
Welchen Sinn es macht, in einem „The Best of ..“-Potpourri aus Beethovens „Fidelio“ die vier Ouvertüren, zwei Arien und ein Duett vorzuführen, weiß wohl nur Christian Thielemann. Dass er Oper „kann“, ist hinreichend bekannt. Auch diesmal durfte geschwärmt werden - von der energischen Spannung, von den atmenden Pausen, vom dramatischen Erzählfluss der Musik, die man derart tiefgründig-dramatisch vorgeführt wohl selten gehört hat.
Die Philharmoniker musizierten hinreißend. Die Demütigungen zu Beginn schienen sie zusätzlich motiviert zu haben. Die beiden Solisten Klaus Florian Vogt (Florestan) und Edith Haller (Leonore) ließen sich mitreißen, er mehr, sie weniger.
Auf geradezu aufreizende Weise zeigte das Konzert in der Philharmonie, was München verlieren wird, wenn sich Christian Thielemann verabschiedet: einen begnadeten Dirigenten, der, wenn es um Beethoven, Bruckner, Wagner und Richard Strauss geht, keine Konkurrenz zu fürchten braucht. In wie weit das angesichts der Tatsache, dass klassische Musik vor allem von jungen Menschen mehr und mehr in Frage gestellt wird, überhaupt noch wichtig ist, darauf müssen die Philharmoniker nun bald eine Antwort finden.
Volker Boser