Tatort-Kritik: „Die Erfindung des Rades“
Die Instabilität der gegenwärtigen Welt kann man auch daran ablesen: In fast jeder Folge dieser Kolumne müssen wir Abschied von alten „Tatort“-Weggefährten nehmen. Und nicht immer wird man vielleicht das Glück haben, dass ein tolles Duo wie Melika Foroutan und Edin Hasanovic in Frankfurt nachkommt.
Nun also geht in Münster auch Mechthild Großmann alias Staatsanwältin Wilhelmine Klemm. Sie hört auf, „weil ich zu alt für den Scheiß bin“, sagt Klemm dem überraschten Kommissar Thiel (Axel Prahl).
Den „Zu alt für diesen Scheiß“-Satz haben in den 90er Jahren Mel Gibson und Danny Glover in „Lethal Weapon“ geprägt - und sich dann im vierten und leider letzten Film der Reihe aber darauf geeinigt, dass sie doch noch nicht zu alt sind, die bösen Buben zu jagen.

Wilhelmine Klemm/Mechthild Großmann meint es aber offenbar ernst. Der „Tatort: Die Erfindung des Rades“ (Drehbuch: Thorsten Wettcke, Regie: Till Franzen) gibt ihr einen sehr, ach was: einen wunderschönen Abschied. Die romantischen Träume der Jugendzeit, so sehen wir gerührt, lassen sich auch im Alter noch leben. Und wenn die Liebe stimmt und der Bulli von damals noch fährt, muss es auch nicht mehr das indische Hippie-Mekka Goa sein - dann tut es auch der Schwarzwald.
Der Fall ist - Münster-„Tator“ halt - ziemlich unterhaltsam und ein bisschen egal. Obwohl es um die Ehre der Radlstadt Münster geht: Das moderne Fahrrad (mit zwei gleichgroßen Rädern und Kettenantrieb) könnte hier erfunden worden sein! Und nicht im englischen Coventry.
Bei der feierlichen Präsentation des Ur-Rads zeigt sich dem entsetzten Publikum statt des heißen Gefährts eine tiefgekühlte Leiche.

Zum Glück sind eh gerade vor Ort: Kommissar Thiel (es gibt was zu essen) und Jan Josef Liefers als Prof. Dr. Dr. Karl-Friedrich Boerne (er muss aufs Rad umsteigen, weil er seinen Führerschein abgeben musste, was er schamvoll zu verbergen versucht). Die beiden treffen auf eine reichlich schrullige Radhersteller-Familie mit Hundefetisch- und Videokamera-Knacks. Zum lustigen Quatsch in diesem „Tatort“ zählt auch die (hoffentlich erfundene) „Deutsche Gesellschaft für die Wiederbelebung des historischen Papierschiffchenbaus“. Es geht hin und her in der Handlung und in der Historie, am Ende wird aber alles gut.
Und man wünscht der Welt so viel Liebe, wie Hannes Hellmann sie als Firmenchef in der Stimme hat, wenn er beim Aufbruch in ein neues Leben zu Wilhelmine Klemm sagt: „Willi.“
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