Tanzen und rumpfbeugen

Zwischen den Stühlen der Kulturen: Drei Abende beim Theaterfestival SpielArt
von  Abendzeitung

Durststrecken muss man bei Expeditionen einplanen. Nach sinnlichem Start gab’s beim SpielArt-Festival jetzt Produktionen, die einen guten Denkansatz nur unzulänglich gutgemeint umsetzten. Diskussionen liefert das allemal.

Eine formal geglückte Ausnahme war die Lecture-Performance „Small Narration” des Polen Woitek Ziemilski. Sein Großvater, beliebt als Operetten-Entertainer, wurde als langjähriger Geheimdienst-Spitzel enttarnt. Den Schock, die Frage nach der Identität, verarbeitet der Enkel in einer emotionslosen Textlitanei, in der es viel mehr um Gedächtnis geht als um den Großvater, um Neuanfänge des Denkens und Identifizierens, mit Bildzitaten aus Tanzproduktionen. Spröde, aber faszinierend.

Die sozialen Aufstände in Griechenland wollte die italienische Truppe Motus mit der antiken Tragödie „Antigone” verknüpfen. In Athen recherchierte sie den Tod eines erschossenen 15-jährigen Demonstranten. Trotz einiger Sophokles-Texte geht die Verbindung in „Alexis. Una tragedia greca” inhaltlich daneben, das Ergebnis ist einfach Agitprop. Aus Alexis wird kein Polyneikes, obwohl natürlich Antigone immer als Widerstandsfigur taugt – tänzelnd und rumpfbeugend zwischen Nebelwerfern und Straßenlampen. Beim Appell zum Handeln hat sie einen Pflasterstein in der Hand. Soll das die Lösung sein?

Die Münchner Szene mischte mit dem deutsch-türkischen Künstlerprojekt „Carpma – Der Aufprall” mit. Der Ausgangspunkt: Je drei Performer aus München und Istanbul tauschen ein paar Wochen die Wohnungen. Aber von deren Aufprall im anderem Kulturkreis erfährt man fast gar nichts. Dafür schicken einen die Regisseure Angelika Fink und Bülent Kullukcu per Tram bis an den Stachus, geführt von einem geschwätzigen österreichischen Kini Ludwig. Es gibt wenige schöne Bilder: Die Gesichter eines Paares verschmelzen in aufgeschmiertem Lehm, in einer Kneipe liefern sich am Ende eine Deutsche und ein Türke einen verbalen Boxkampf. Zu wenig für drei Stunden.

Drunter geht’s auch beim indischen Kinderfasching nicht ab, zu dem die österreichische Gruppe God’s Entertainment mit „Trans-Europa-Bollywood” lädt. Mitmachen ist Pflicht: Ein Quiz entscheidet, ob man per Flieger oder Geisterbahn-Wägelchen nach Mumbai reist, um Statist für einen Bollywood-Film zu spielen, mit Kostümen aus dem Kitschbazar. Danach werden alle in ein indisches Lokal in der Leopoldstraße verfrachtet, kriegen gut zu essen und warten lange, bis die Akteure nochmal die Hüften schwingen und zum Mittanzen animieren (noch heute, 19 Uhr, Muffathalle). Von Indien sieht und hört man nur Klischees. Oder sollte es sich hier um Theater als kultisches Gemeinschaftserlebnis handeln?

SpielArt-Festival, noch bis 4. Dezember, Infos unter www.spielart.org, Karten unter Tel. 0180 / 54 81 81 81

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