Tabor Südens Rückkehr
Was bisher geschah: Der Münchner Kommissar Tabor Süden macht sich auf die Suche nach dem verschwundenen Richard Leimer und ermittelt in dessen Stammlokal. Friedrich Anis Krimi »Der verschwundene Gast«
»Da, wo Sie jetzt sitzen«, sagte Max Reinl, der Wirt, »genau da sitzt er immer. Praktisch jeden Tag. Wieso ist der jetzt verschwunden?« »Seine Frau hat ihn als vermisst gemeldet«, sagte Tabor Süden. Der Wirt, der eine weiße Kochjacke trug, trank einen Schluck Wasser aus seinem Halbliterglas und zündete sich eine Zigarette an. »Die Karla.« Dann rauchte er und sah den Kommissar an, als teile er ihm wortlos ein Geheimnis mit. Süden schwieg. In dem bayerischen Gasthaus mit den blank polierten Tischen saßen acht Gäste beim Mittagessen, die meisten allein. Die Eingangstür stand offen, und der Verkehrslärm der nahen, viel befahrenen Leopoldstraße drang herein. »Die Karla sucht den Richard?« Der Wirt inhalierte und verzog den Mund. Mit verschwörerischer Miene beugte er sich vor. »Die Karla kümmert sich einen Scheiß um den Richard.« »Trotzdem ist er verschwunden«, sagte Süden. »Hier ist er nicht.
»Am Sonntag haben wir Ruhetag.«
Und gestern war er auch nicht hier und am Sonntag auch nicht.« »Am Sonntag haben wir Ruhetag.« »Am Samstag war er auch nicht hier«, sagte Süden. »Das haben Sie vorhin behauptet.« »Der war nicht da, das stimmt.« Süden hatte ein alkoholfreies Bier bestellt, es schmeckte ihm nicht. »Seine Frau sagt, er sei zuhause gewesen.« »Am Samstagabend?« Mit einer heftigen Bewegung drückte Reinl die Zigarette aus. »Was soll der zuhause? Der ist jeden Samstag hier, das ganze Jahr über.«
»Dann lügt seine Frau«, sagte Süden. »Logisch lügt die.« Er nickte einem Gast am übernächsten Tisch zu. Dann räusperte sich Reinl und klopfte mit dem Zeigefinger auf die Zigarettenschachtel. »Als der Richard noch sein Geschäft hatte, vorn in der Nordendstraße, gegenüber vom Elisabethmarkt, da hat die Karla sich aufgebrezelt und ist durch Schwabing gestöckelt und war wichtig. Da hat sie auch noch bei Siemens im Chefzimmer gesessen. Wichtig, wichtig. Dann haben sie sie rausgeschmissen, und dann ist sie dem Richard auf der Tasche gelegen, aber sauber. Und er hat gezahlt. Klamotten, Urlaubsreisen, Prosecco en masse, Auto. Alles gut. Und dabei hat er schon geahnt, dass das alles nicht mehr lang so weitergeht. Der Richard ist doch kein Träumer, der hat zehn Jahre seinen Laden geführt, tipptopp, erste Ware. Ein Herrenausstatter von Format. Aber die Mieten. Und die Leute sparen, kaufen ihr Zeug im Kaufhaus. Wird ja alles nicht billiger für uns Geschäftsleute, da müssen Sie mit jedem Cent rechnen. Sonst: Absturz, servus. Das hat der Richard alles gespürt.
Abwenden hat er die Pleite nicht können. Wenn die Schulden mal anfangen, hören die nicht mehr auf, das ist ein Naturgesetz. Wenn die Lawine rollt, rollt sie, da können Sie rennen, so schnell Sie wollen, Sie kommen da nicht mehr raus aus der Schlucht. So war das. Jetzt steht die Karla beim Schlecker an der Kasse. Weniger wichtig. Aber der Richard: immer noch gut gekleidet, ordentliches Hemd, Sakko, gebügelte Hose. Sitzt da, liest Zeitung, trinkt seinenWein, spricht mit den Gästen, immer höflich. Und wenn er telefoniert, geht er jedesmal vor die Tür, so ist der. Garantiert ist er heut Abend wieder da. Bleibens einfach hier sitzen, dann werden Sie’s schon sehen.«
Lustige Frage
Süden holte seinen kleinen karierten Spiralblock aus der Jackentasche. »Mit wessen Handy hat Leimer telefoniert?«, fragte er. »Lustige Frage. Mit seinem, mit was für einem sonst?« »Leimer besitzt kein Handy.« »Freilich besitzt er eins.« »Nein«, sagte Süden. »Hat Ihre Bedienung ihm eines geliehen?«
»Die Evi?« Er wandte sich um. »Evi!«, rief er in Richtung Tresen. »Komm mal schnell, schick dich.« Süden notierte sich Stichpunkte. Die junge Frau im grünen Dirndl, die ihn vom Tresen aus die ganze Zeit beobachtet hatte, kam an den Tisch ihres Chefs. »Das ist die Evi Berghof«, sagte Reinl zu Süden, und zu ihr: »Hast du dem Richard dein Handy geliehen, wenn er telefonieren wollt? Der Kommissar sagt, er hätt kein eigenes.«
»Das ist ja ein Schmarrn.« Über Evis Wangen zog ein rosa Schimmer. »Entschuldigung. Ich wollt nur sagen, der Richard hat schon ein eigenes Handy, so ein silbernes, das man aufklappen kann. Ist was passiert?« »Der Richard ist angeblich verschwunden«, sagte Reinl. »Hoffentlich ist ihm nichts passiert«, sagte Evi. So recht traute sie sich nicht, Süden in die Augen zu sehen. Fortsetzung folgt
Krimi-Autor Friedrich Ani
Friedrich Ani, 1959 in Kochel geboren, lebt in München. Er schreibt Kriminalromane, Drehbücher („Tatort“) und Jugendbücher. Für seine Geschichten mit Tabor Süden wurde Ani mehrfach mit dem Deutschen Krimipreis ausgezeichnet. Zuletzt erschien von ihm der Krimi „Hinter blinden Fenstern“ (Zsolnay). Der hier abgedruckte Text erscheint nächste Woche bei Edition Nautilus (64 Seiten, 5 Euro). Den ersten tausend Exemplaren ist eine Mini-CD beigelegt, auf der Ani zusammen mit Schorsch & de Bagasch den Süden-Blues singt.
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