Sympathie für Extreme

Die Oscar-Preisträgerin (Beste Nebendarstellerin in „Michael Clayton“) hat ihren Weg zwischen Arthaus-Ikone und Hollywood-Star gefunden. Im AZ-Interview erzählt sie von ihrem neuen Film „Julia“, Einsamkeit, Alkohol und Karriere.
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Die Oscar-Preisträgerin (Beste Nebendarstellerin in „Michael Clayton“) hat ihren Weg zwischen Arthaus-Ikone und Hollywood-Star gefunden. Im AZ-Interview erzählt sie von ihrem neuen Film „Julia“, Einsamkeit, Alkohol und Karriere.

Tilda Swinton, einst Muse von Derek Jarman, liefert in Erick Zoncas Drama „Julia“ eine furiose One-Woman-Show als alkoholabhängige Kidnapperin, die nach und nach Muttergefühle für ihr Opfer entwickelt und am Ende wie eine Löwin für ihr Junges kämpft. Die Oscar-Preisträgerin (Beste Nebendarstellerin in „Michael Clayton“) hat ihren Weg zwischen Arthaus-Ikone und Hollywood-Star gefunden.

AZ: Frau Swinton, Julia stapft egoistisch durchs Leben, trinkt zu viel, bewegt sich ständig am Abgrund. Was mochten Sie dennoch an ihr?

TILDA SWINTON: Ich mag extreme Figuren. Von Anfang an hatte ich das Gefühl, ich kenne diese Frau, die sich in Lügengespinste verstrickt, immer an sich selbst scheitert. Jeder Mensch verliert mal die Balance, die Kraft und Kontrolle und bewegt sich am Abgrund entlang. Es gibt Situationen, wo wir existenzielle Entscheidungen fällen müssen. Julia entscheidet falsch, tritt mit Gewalt aufs Gaspedal und rast ins Verderben, ein Desaster. Mir gefiel vor allem ihre Energie, auch wenn sie trinkt, um sich zu betäuben und sich die Realität schön zu lügen. Dabei entgleitet ihr das wahre Leben. Ich habe mich in ihr Inneres gestürzt, auch wenn diese Figur meilenweit von mir entfernt ist. Physisch und psychisch bin ich da an Grenzen gestoßen.

Wie spielen Sie so eine Trinkerin?

Ich trinke so gut wie keinen Alkohol, vertrage ihn auch nicht. Das war die beste Vorbereitung für diese Rolle. Als ich noch jünger war, habe ich oft so getan, als sei ich betrunken. Dabei war ich immer die Nüchterne, die nachts alle nach Hause fahren musste. Es ist gefährlich, einige trinken immer öfter zu viel, aber das Problem wird verdrängt. Ich verstehe diese Abhängigkeit. Jeder von uns schlittert mal in eine schwierige Situation. Alkoholismus ist eine Volkskrankheit. Wir sollten uns mal Gedanken machen, warum die Gesellschaft bei Männern ein Auge zudrückt und trinkende Frauen als anstößig gelten.

Warum greifen Frauen zur Flasche?

Die Gründe und Motive sind vielfältig. Männer beschäftigen sich viel mehr mit sich selbst, stellen sich in den Mittelpunkt. Frauen verlieren eher die Beziehungen zu anderen und zu sich selbst. Das ist schon ein Tabu. Eine kaputte Frau wie Julia, die in Bars herumhängt, hat nichts Romantisches. Sie wirkt verführerisch, doch dann kommt die Ernüchterung. Sie fühlt sich wie der letzte Dreck, wenn sie mit einem fremden Typen von der Rückbank des Autos aufsteht und in den Tag schwankt. Da bleibt mehr als nur der Kopfschmerz, da bleibt ein seelischer Widerhaken.

Erstaunlich bei Julia ist diese völlige Freiheit von mütterlichen Instinkten, die man von Frauen erwartet.

Sie ist ein exotisches Tier, ohne jegliche mütterliche Gefühle, im Gegenteil, ein Monster an mangelnder Mütterlichkeit. Im Kino finden wir solche Frauen selten, da wimmelt es von lieben Müttern.

Sie haben mal gesagt, Einsamkeit sei der Deal des modernen Lebens. Ist diese Einsamkeit das Bindeglied zwischen der Filmfigur und Ihnen?

Einsamkeit ist ein immer währendes Thema für mich und spiegelt sich oft in den Figuren, die ich spiele. Ich empfand mich immer als einsam – und nichts Schlimmes daran. Ich bin ja nicht die Einzige! In Gesellschaft von einsamen Menschen fühle ich mich wohl. Aliens unter sich, das hat doch was! Wir sind ja alle verlorene Einzelgänger. Je eher wir das akzeptieren, um so besser. Man muss sich dieser Realität stellen.

Als Muse von Derek Jarman begann Ihre Karriere, Sie galten als Underground-Ikone. Inzwischen sieht man Sie in Hollywoodfilmen, zum Beispiel als Weiße Hexe in „Die Chroniken von Narnia“.

Derek Jarman, da sind meine Wurzeln. Sein Tod ist ein großer Verlust für uns alle. Meine Arbeitsweise hat sich nicht geändert. Hollywoodfilme sind wie große Parties, zu denen man eingeladen ist. Die „Narnia“-Dreharbeiten in Neuseeland und die Bequemlichkeiten einer Megaproduktion habe ich genossen. Alles Neuland für mich. Und eines dürfen Sie nicht vergessen: Die Hollywood-Popularität unterstützt engagierte Filme wie „Michael Clayton“ oder „Julia“, die im Fahrwasser großer Produktionen zusätzliche Aufmerksamkeit gewinnen können.

Margret Köhler

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