Subversiver Repräsentant
Wladimir Kaminer begeistert im Lustspielhaus mit einem hinreißenden Improvisations-Solo.
Das Phänomen wundert ihn selbst am meisten: Er gilt als Repräsentant deutscher Sprache und Kultur. Zwar lebt er in der Hauptstadt, aber er spricht die Sprache der Dichter und Denker nicht akzentfrei und ist Russe. Amüsiert berichtet er, dass er zu Buchmessen mit Deutschland-Schwerpunkt in Finnland und Brasilien eingeladen ist. Und letztes Jahr sprach er vor Germanistik-Studenten im US-Bundesstaat Tennessee, „dem Herzen Amerikas, wo die Menschen keine Zähne haben, bewaffnet und gegen eine Krankenversicherung sind, obwohl sie zahnärztliche Betreuung dringend nötig hätten“.
Eigentlich war Wladimir Kaminer wegen seines neuen Buches „Onkel Wanja kommt“ im Lustspielhaus. Gelesen aber hat er nur das Eingangskapitel. Der Rest ist ein hinreißendes Improvisations-Solo mit scheinbar spontanen Einfällen und älteren Texten, die er aus einem zerlesenen Stapel Manuskripte herauswühlt. Am Bild vom desorganisierten Russen, der säuft und raucht, mag Kaminer nicht rütteln, denn so lieben die Deutschen ihre Russen, auch wenn es nur das Klischee selbst ist, das wir hierzulande lieb haben.
Nur einmal, nach Schwänken wie „Im Rahmen der Hose“ über Löcher in kapitalistischen Jeans oder seines Ärgers in der Schrebergarten-Kolonie wegen „spontaner Vegetation“, reißt die Zuneigung, die Kaminer dem Menschen entgegen bringt, auf: Nach dem er in einem Fernsehinterview seiner Empörung über die Gefängnisstrafen gegen Pussy Riot Ausdruck verliehen hatte, habe ihm das russische Kamerateam erklärt: „Das ist was für Minderjährige, Schwule und Rechtsanwälte. Wir brauchen keine Freiheit, sondern billige Kredite.“
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