Stursein ist was Schönes
Gestern kam sie aus Kempten, heute muss sie nach Hamburg weiterfliegen. Ina Müller sitzt im Konferenzraum eines Hotels in Hallbergmoos und wirkt erstaunlicherweise auch im direkten Kontakt so, wie man sie aus dem Fernsehen kennt. Vielleicht etwas vorsichtiger im Gespräch, eine Spur distanzierter. „Das wäre dein Lied gewesen”, heißt ihr Album.
AZ: Frau Müller, Sie hatten am Viktualienmarkt eine Wohnung. Haben Sie Sehnsucht nach München?
INA MÜLLER: Wenn ich nicht da bin, geht’s. Aber so im Anflug auf München, oder wenn ich die S-Bahn vom Flughafen zum Marienplatz nehme – das ist schon Heimweh.
Zuschauen ist bei „Inas Nacht”, Ihrer Sendung im NDR, ja die schönste Form des Stellvertretersaufens.
Ein bisschen ist es das auch. Deswegen haben wir mittlerweile immer einen Off-Tag dazwischen. Anfangs haben wir drei Tage hintereinander Sendung gemacht, dann wieder eine Woche frei. Das ging nicht mehr. Ich muss wenigstens einen Morgen nach der Sendung ausschlafen, mich einmal schütteln und auf den nächsten Abend vorbereiten können, früh ins Bett gehen, eine Augenmaske drauflegen.
Haben 60er-Jahre-Kinder eine andere Lässigkeit, über bestimmte Themen zu reden?
Ich hatte gerade ein Radiointerview, wo ich mich mit allen dazugehörigen Worten darüber ausließ, dass die jungen Mädchen alle tanzen wie Prostituierte. Es kann sein, dass wir damals noch mehr geredet haben und Sachen deswegen eher auf den Punkt bringen.
Mitleid mit der jungen Generation?
Ich finde, den jungen Mädels von heute geht eine Phase verloren. Eine Schamphase. Mit 15 hätte mir damals keiner eine Nylonstrumpfhose angezogen. Wir sind ins Wendland gezogen und fanden Atomkraft scheiße, ohne jetzt genau zu wissen, was wir da tun. Aber diese Kommunikation, die nicht über Computer ging, hat mich auch weitergebracht.
Ist die Facebook-Generation überinformiert?
Ich war drei Tage bei Facebook. Ich hörte immer, dass ich das machen muss, weil ich sonst den Anschluss verliere. Das ist völliger Quatsch. Es hat überhaupt keinen Mehrwert für mich.
Haben Sie auch musikalisch das Bedürfnis, Moden zu ignorieren?
Es gibt ein einziges Phänomen, wo es mir schwer fällt, das nachzuvollziehen: R’nB, diese Rihanna-Musik, die sich sehr über Sex verkauft, die aber musikalisch unterirdisch ist. Das hat aber nichts mit modern oder unmodern zu tun.
Gibt es Jugendmusik, die bei Ihnen übriggeblieben ist?
Ich höre noch meine alten Heaven17-Platten, die alten Tears-For-Fears-Sachen, ganz viel Queen. Neulich habe ich in der Garderobe Barclay James Harvest ausgepackt und mich totgelacht. Diese Songs sind so konserviert im Kopf. Da ist das Internet großartig – alte Musik wiederzufinden.
Mit Detlev Buck haben Sie in Ihrer Sendung ein Melkspiel gemacht. Ist das Aufwachsen auf dem Bauernhof ein Gegenpol zum Medienumfeld?
Ich glaube schon, dass Bauernhofkindheit prägt. Wir sind stur, schwierig, haben einen Dickkopf. Ich bin großer Detlev-Buck-Fan und dachte, entweder, wir reden nur über seine Filme, oder ich kann mal über Milchpreise reden – was er, glaube ich, nicht so toll fand. Ich wusste ja gar nicht, dass er noch diesen Hof hat.
Was macht einen stur?
Man fällt ja doch nicht so weit vom Stamm. Man nennt es stur, aber das ist eher so ein Mentalitätsding. Der Bayer an sich hat ja auch so eine Sturheit in sich. Ich mag das!
Was ja oft mit Konservativität verwechselt wird.
Ich habe Wertevorstellungen, die sind irgendwie konservativ. Find’ ich doof, hab’ ich aber. Ich lasse mich gerne darüber aus, wie schlimm ich das finde, wenn mich eine junge Frau von Hamburg nach München fliegt.
Man fand Alice Schwarzer gut und ist heute von ihr genervt?
Nein. Es gab nichts, wo ich sie nicht verstanden habe. Ich habe auch kapiert, warum eine Frau wie Schwarzer die „Bild”-Zeitung benutzt, um einfach mal mehr gehört zu werden.
Geben heutige 20-Jährige Errungenschaften leichtfertig auf?
Ich glaube, das ist die Generation youporn. Ist ja nicht so, dass das nur Jungs gucken. Mädels gucken das genauso und werden damit sozialisiert.
Die Enttabuisierung von Sexualität macht es stinklangweilig.
Sex ist nicht wie im Kino oder im Porno. Sex ist dazwischen – oder etwas ganz anderes. Hätte ich das mit 14 gesehen, mich hätte es verstört. Ich hatte mit 18 das erste Mal Sex und konnte mich überraschen lassen. Da würde sich heute jeder Teenie mit 14 totlachen. Das haben die alles schon erlebt. Und zwar so, wie man es in den Filmchen sieht.
Ganz anderes Thema: Tolle Gitarre auf Ihrem Cover.
Ja, die lag da rum. Ich kann Gitarre spielen, hatte sechs Jahre lang Gitarrenunterricht. Aber ich würde nie auf der Bühne Gitarre oder Klavier spielen. Wenn ich mich auf Gesang konzentriere und noch ein Gerät spielen soll, geht eins immer ein bisschen verloren. Ich kann das nur zuhause.
Am 10. März 2012 tritt Ina Müller in der Olympiahalle auf. Tickets ab 35 Euro.