Stolz mit Sprengkraft

Kunst für Feministinnen? Schockierend offen? Die größte Frida-Kahlo- Retrospektive aller Zeiten zeigt in Berlin, wie die Mexikanerin sich und ihre Kunst inszeniert hat
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Kunst für Feministinnen? Schockierend offen? Die größte Frida-Kahlo- Retrospektive aller Zeiten zeigt in Berlin, wie die Mexikanerin sich und ihre Kunst inszeniert hat

Arme Frida Kahlo: Keine Künstlerin des 20. Jahrhunderts ist von der Kitsch-Industrie so vereinnahmt worden wie die mexikanische Malerin. Nach ihrer (Wieder-)Entdeckung in den 1980er Jahren mutierten ihre Bilder binnen kurzem zu Poster- und Postkartenmotiven; dazu luden ihre farbenprächtigen, vermeintlich naiven Gemälde förmlich ein. Und Feministinnen beschworen sie als Galionsfigur weiblicher Kreativität und Selbstbestimmung – mit Blick auf ihr berührendes, von Krankheit und Liebesleid gezeichnetes Schicksal. Dafür boten ihre etlichen Selbstporträts als Schmerzensmutter die ideale Projektionsfläche.

Anden Frida-Ikonen kommt auch die Berliner Retrospektive nicht vorbei. Aber sie geht darüber hinaus: Mit 60 Gemälden und 90 Zeichnungen sind mehr Bilder der Künstlerin an einem Ort versammelt als je zuvor. Kahlos schmales Werk zählt nur 160 Gemälde, die über die ganze Welt in Privatsammlungen verstreut sind. Erst in der Zusammenschau wird deutlich, wie sehr sie sich und ihre Kunst inszeniert und stilisiert hat.

Klugerweise beginnt die Ausstellung mit rund fünfzig Porträtfotos, die ihre Großnichte Christina Kahlo ausgewählt hat. Auf diesen Aufnahmen sind alle Konstanten zu finden, die auch Kahlos Bilderkosmos bestimmen: die aufwändige Kostümierung in traditioneller Tracht mit bunt geschmückten Steckfrisuren, die stolze Haltung im Halbprofil, der frontale, durchdringende Blick. Der Selbstvergewisserung diente ihr gemaltes Tagebuch, das sie in den letzten acht Jahren vor ihrem frühen Tod 1954 führte. Es enthält viele der privaten Chiffren, die sie in ihre Gemälde einflocht, quasi im Rohzustand: Etwa Mond und Sonne als Zeichen für sie und ihren Mann Diego Rivera, deren jeweilige Himmels-Konstellation den aktuellen Stand ihrer turbulenten Beziehung anzeigen. Oder Elemente der buddhistischen Ikonographie. Kahlo liebte es, ihre Bilder zu codieren, indem sie spanische Redensarten wörtlich nahm, als Objekte drapierte: ein hohler Kürbis für den Dummkopf, eine Motte für eine Schmarotzerin.

Das Dekor als Kommentar entlehnte sie der Bildtradition der Renaissance. Brueghel und Bosch regten sie zur unbefangenen Verwendung grotesker und fantastischer Figuren an. Mit erstaunlicher Drastik. Das kleinformatige Gemälde „Henry Ford Hospital“ – wo Kahlo 1932 eine Fehlgeburt erlitt – zeigt sie nackt auf einem Krankenbett, umringt von sechs Objekten: einer Schnecke, einem Fötus, einem Unterleibs-Modell, einer Maschine, einer abgebrochenen Blüte und einem weiblichen Beckenknochen. Derlei beeindruckte André Breton, der ihr zu einer Ausstellung in Paris verhalf und sie für den Surrealismus reklamierte. Doch Kahlo lehnte ab; sie schöpfte nicht aus dem Unbewussten, sondern aus ihrer Umgebung.

Bei der Entschlüsselung helfen im Gropiusbau ausführliche Legenden, die vor den Bildern auf kleine Rampen montiert sind – eine Innovation, die Schule machen könnte, weil sie für gute Lesbarkeit und Sicherheitsabstand sorgt. Denn jenseits seiner Vermarktung geht von diesem Werk immer noch eine ungebrochene Sprengkraft aus, die Breton in die Worte fasste: „Die Kunst der Frida Kahlo ist eine Schleife um eine Bombe.“

Oliver Heilwagen

Bis 9. August täglich außer dienstags von 10 bis 20 Uhr im Martin-Gropius-Bau Berlin

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