Sterbehilfe für die Sirene
Die Sopranistin Christine Schäfer hat Arien aus Händels Oper "Alcina" aufgenommen
Ein paar ansprechende Arien trällern und den Inhalt einigermaßen plausibel rüberbringen – eine wie Christine Schäfer könnte es sich ziemlich bequem machen auf einem Musikmarkt, der hübsche Gesichter und hohe Stimmen liebt. Doch da ist dieser Drang, im hundert Mal Gehörten das Fremde zu suchen, das allzu Vertraute endlich unters Mikroskop zu legen, um zu sehen, was es mit diesem Cherubino, mit dieser Lulu oder den gefrorenen Tränen in Schuberts „Winterreise“ auf sich hat. Und jetzt ist Händels „Alcina“ auf dem Seziertisch gelandet.
Zusammen mit den Berliner Barock Solisten wagt die Schäfer den Zusammenschnitt auf die sechs zentralen Arien der Titelheldin, eingebettet in die gehaltvolle Instrumentalmusik der Oper. Und tatsächlich wird diese Suite zu einem bewegenden Psychogramm, in dem der Schatten der Aussichtslosigkeit noch über den allerschönsten Tönen liegt. Da ist eine Zauberin, eine Sirene, die schon vor dem ersten lockenden Gurren um den Verlust ihrer alles bezwingenden Magie weiß und – so wie Schäfers verstörend eilender Wanderer in der „Winterreise“ – einem gewissen Ende zuwankt, dabei glüht und glimmt in jeder ihrer irdischen Adern. Und in Rainer Kussmauls Musikern die einfühlsamsten Sterbehelfer hat (Cavi-music).
Christa Sigg
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