Stalins Bigband

Die Münchner Philharmoniker unter Semyon Bychkov mit Dmitri Schostakowitschs Siebter Symphonie
von  Abendzeitung

Die Münchner Philharmoniker unter Semyon Bychkov mit Dmitri Schostakowitschs Siebter Symphonie

Vorige Woche führte Paavo Järvi mit dem Orchester der Stadt beispielhaft vor, wie Schostakowitsch klingen sollte: Er drehte bei der Symphonie Nr. 6 die Gefühlstemperatur ein wenig herunter, sorgte für schneidende Präzision und bestürzend leise gespielte Stellen. Die Kraftausbrüche waren deshalb zum Fürchten. Niemand wagte zu husten, so aufregend war das.

Eine Symphonie später, bei Semyon Bychkovs Siebter, war der Alltag wieder da. Die Abonnenten befreiten ihre Atemwege genüsslich von störenden Sekreten, während die 1941 im von den Deutschen belagerten Leningrad entstandene Symphonie zum Anlass genommen wurde, lautstarke Orchesterathletik vorzuführen.

Heiße Luft

Lobenswerte Ansätze zu fahler Verhaltenheit im zweiten Satz seien nicht verschwiegen. Bald wichen sie wieder der Kraftmeierei. Sie kulminierte im Finale: Da ließ Bychkov, der in seiner Jugend aus politischen Gründen die Sowjetunion verlassen musste, die Blechbläser nach Big-Band-Manier zum Siegesgeschmetter aufstehen.

Das ist windige Effekthascherei. Statt den Hohn der Fanfaren hörbar zu machen und das Werk als Spiegelung der totalitären Gräuel des 20. Jahrhunderts zu verstehen, der Dirigent eine stalinistische Triumphsymphonie. Hoffentlich ist das auch jenen allzu bequemen Philharmonikern nicht entgangen, die sich diesen wackeren Routinier als Thielemann-Nachfolger wünschen.

Robert Braunmüller

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