Stadt des Verbrechens

Warum München immer für einen fiktiven Krimi gut ist, auch wenn im Rest der Republik die Kriminalitätsrate weitaus höher ist
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Warum München immer für einen fiktiven Krimi gut ist, auch wenn im Rest der Republik die Kriminalitätsrate weitaus höher ist

Der Münchner Sicherheitsreport 2008 spricht eine eindeutige Sprache: „Mit 3 vollendeten und 29 versuchten vorsätzlichen Tötungsdelikten wurde ein Tiefststand seit 1997 erreicht. Alle Fälle konnten geklärt werden.“ So vergleichsweise friedlich klingt die reale Welt. In der fiktiven hingegen könnte man München fast als Hauptstadt des Verbrechens bezeichnen, auch wenn in „Tatort“ und „Polizeiruf“ oder in den unzähligen hier angesiedelten Kriminalromanen ebenfalls alle Fälle geklärt werden. Während Münchens mordlüsterne Leser noch bis zum 30. März das Krimifestival stürmen, fragte die AZ hiesige Autoren, ob sie nicht Schwierigkeiten haben, in München noch neue Orte des Verbrechens zu finden?

„Die meisten meiner Verbrechen passieren in Zimmern, und davon gibt es genug in dieser Stadt“, sagt Friedrich Ani lakonisch. Er schickt mit Tabor Süden, Jonas Vogel und Polo- nius Fischer gleich drei Serien-Kommissare durch München. „Es wäre mir auch egal, wenn ein Ort in meinen Büchern vorkäme, mit dem schon ein anderer Autor etwas angestellt hat.“

Lieber Sendling als Rom

Max Bronski (hinter dessen Fassade ein bislang anonym gebliebener Münchner Autor steckt) freut sich, dass „Krimis heute genau so gut in Sendling wie in Götaland oder Knoxville“ spielen können: „Der Krimi ist lokaler geworden, endlich kann man über Orte wirklich etwas erzählen. Früher musste der gelackte Meisterdetektiv zwischen London, Rom und Paris unterwegs sein. Und was hat der Leser dabei erfahren? Abgegriffenen Blödsinn!“

In seinem neuen Fall „Nackige Engel“ (Kunstmann Verlag) schickt Bronski seinen Gelegenheitsdetektiv und Trödelhändler Wilhelm Gossec durchs Schlachthof-Viertel. Für den Autor ein idealer Ort und großer Kontrast zum allzu freundlichen und sauberen Image der Stadt, das die Krimischreiber natürlich kitzelt: „Man fragt sich sofort: Was ist denn darunter, unter dieser sorglosen, heiteren Oberfläche? Und schon geht ein Krimi los!“, sagt Bronski. „Überhaupt steht diese kommode münchnerische Art ja nicht dafür, dass es keine Gemeinheiten gäbe, nur dafür, wie sie hier ausgetragen werden.“

Stadt mit Abgründen

Friedrich Ani äußert sich erstaunt über das Selbstbildnis der Stadt und das Bild, das Leute in anderen Städten von München haben: „Die Marketingabteilung im Rathaus leistet eine brillante Arbeit.“ Immerhin lebten in München fast 200000 Menschen unter der Armutsgrenze, etwa 20000 Kinder seien auf Hartz-IV-Leistungen angewiesen, Alleinerziehende und Familien mit mehreren Kindern verarmten zunehmend. „Wir haben einen Nazi im Stadtrat sitzen, und in einer Stadt, an der ungefähr an jeder Straßenecke ein Streifenwagen steht, wird am helllichten Tag ein Mensch zu Tode geprügelt“, sagt Ani. „Wovon reden wir eigentlich, wenn wir von Verbrechen in München reden?“

In diese Kerbe stößt auch Cornelia Ackers, die für den BR den „Polizeiruf 110“ betreut. „Extrem spannend“ findet sie München für Krimiserien: „Die Unterschiede zwischen den Powershoppern auf der Maximilianstraße und der stärker werdenden Armut sind doch in keiner anderen Stadt so deutlich zu sehen wie hier.“ Ackers spricht von extremen Druckverhältnissen, die schon bei den Schulen voll durchschlagen: „Da trifft sich teils altkonservativer Leistungsanspruch der Eltern mit ganz anderen Lebenswirklichkeiten und erzeugt einen ganz speziellen Sprengstoff.“ Aus sozialpolitischer Perspektive ist das eine Katastrophe, für eine Drehbuchautorin aber natürlich interessant.

Das Leben schreibt die besten Stoffe

Hinzu kommt für Autor Max Bronski noch ein lokaltypischer Aspekt – die Münchner Mentalität: „Heute hast du ein Riesending vor der Nase, Milliarden versenkt, systematischer Betrug mit Bestechung, und morgen wird herumgemenschelt, dass halt amal was in die Hose gehen kann. Der Münchner sucht nach jedem Exzess guter oder schlechter Taten sofort wieder die bequeme Mittellage. Für einen Krimischreiber ausreichend Stoff!“

Volker Isfort

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