Stachelig und schuldig

Juli Zehs politische Farce „Der Kaktus“ behandelt den Umgang der Gesellschaft mit Angst und Sicherheit. Sie wird heute im Volkstheater in der Inszenierung von Bettina Bruinier uraufgeführt
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Juli Zehs politische Farce „Der Kaktus“ behandelt den Umgang der Gesellschaft mit Angst und Sicherheit. Sie wird heute im Volkstheater in der Inszenierung von Bettina Bruinier uraufgeführt

Für ihre Bühnenadaption und Inszenierung von Juli Zehs Roman „Schilf“ im Volkstheater wurde Bettina Bruinier mit dem AZ-Stern des Jahres 2007 ausgezeichnet. Nun inszeniert die Regisseurin ein neues, satirisches Stück der Autorin, das wieder den Namen einer Pflanze trägt: „Der Kaktus“. Heute wird die Farce im Volkstheater uraufgeführt.

AZ: Frau Bruinier, der Plot ist absurd und böse: Ein GSG-9-Mann verhaftet einen Kaktus, weil er in ihm Terroristen sieht. Auf dem Revier verhören vier Polizisten den „Gefährder“, und da er schweigt, werden ihre Methoden immer schärfer. Abu Ghraib lässt grüßen.

BETTINA BRUINIER: Dies ist ein Zeitstück, das stark auf die Angstmache reagiert. Es geht um die Fragen, wie ein Feindbild entsteht, wie man mit Notsituationen umgeht, wann Rechte suspendiert werden wie im Fall der Entführung des Jakob von Metzler. Und wie man sich dieser Demagogik unterwirft.

Gleichzeitig ist es hochkomisch.

Es ist ein „well made play“ im besten Sinne, gut gebaut, mit plastischen Figuren und Konflikten. Der Sprachwitz kommt zum Tragen, es gibt immer wieder Neues zu entdecken. Ich freue mich, ein aktuelles Stück zu machen, das sich eine Aussage traut. Die spielerisch leichte Form lässt den Zeigefinger vergessen und man bleibt doch nah an der Debatte.

Juli Zeh macht die Polizisten selbst zu Gefangenen der Situation.

Vier Personen köcheln in einem Raum des Polizeipräsidiums vor sich hin: Das ist eine tolle Situation, weil die Einheit von Raum, Zeit und Handlung gegeben ist. Die vier zeigen als Repräsentanten unserer Gesellschaft die inneren Konflikte, die in den letzten Jahren vielfach zur Sprache gekommen sind. Juli Zeh geht hart mit der politischen Korrektheit ins Gericht.

Am Ende greift eine ominöse Militärtruppe ein und verkündet: „Diese Einheit zerstört sich von selbst.“ Wie soll man das verstehen?

Das meint die gesellschaftliche Einheit. Die Figuren haben Grenzen überschritten, indem sie den Verdächtigen nicht mehr als Menschen behandeln, sondern ihn physisch und mental angreifen. Damit haben sie ihr Recht auf Menschenwürde in Frage gestellt. Sie haben die Basisregeln außer Kraft gesetzt. Damit ist auch ihr eigenes Leben nichts mehr wert. Das ist die Zukunft: Wenn man bei den Menschenrechten Grenzen überschreitet, gibt es keinen natürlichen Halt mehr.

Sie haben sich für die Kleine Bühne entschieden, obwohl man das Stück auch im großen Raum spielen könnte.

Es ist ein Kammerspiel, im intimen Rahmen ist es viel näher am Publikum und entwickelt mehr Kraft.

Sie sind seit dieser Spielzeit Hausregisseurin am Schauspiel Frankfurt. Wie fest sind Sie dort eingebunden?

Ich mache zwei Inszenierungen im Jahr. So kann ich kontinuierlicher mit dem Ensemble arbeiten, kann auch Stückvorschläge machen und dadurch tiefergehend arbeiten. Das ist eine tolle Chance.

Aber Sie bleiben auch dem Volkstheater erhalten: Im März bringen Sie hier Henrik Ibsens „Volksfeind“ heraus.

Da gibt’s vom Stoff her durchaus Ähnlichkeit mit dem „Kaktus“ von Juli Zeh. Es ist auch ein politischer Diskurs über Demokratiefähigkeit, gesellschaftliche Zwänge und Gruppenmechanismen.

Gabriella Lorenz

Volkstheater, Kleine Bühne, heute, 20 Uhr, Tel. 5234655

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