Spurensuche im Schnee
Unterkühlt und wenig komödiantisch: Tina Lanik inszenierte Kleists „Zerbrochnen Krug“ mit Lambert Hamel im Residenz Theater
Hart und heftig prasselt der Schnee auf Adam herab. Der trotzt erst dem Sturm, bettet sich dann ins eisige Weiß wie ein Kind. Der Auftakt zu Tina Laniks Inszenierung im Residenz Theater signalisiert frostige Unwirtlichkeit. Für ihre unterkühlte, wenig komödiantische Lesart von Heinrich von Kleists Lustspiel „Der zerbrochne Krug“ erntete die Regisseurin bei der Premiere kräftige Buhs. Applaus für Lambert Hamels Adam und das Ensemble.
Eine Schneeplatte hebt sich und hängt als Dach über dem gewellten Boden, auf dem alle ins Straucheln kommen. Milchige Plastikvorhänge rahmen die leere Bühne (Bernhard Hammer), auf der nur Adams Richterstuhl steht – deutlich zu groß für ihn. Die Ankunft des Gerichtsrats Walter, des Justiz-Kontrolleurs, kommt dem Dorfrichter ungelegen – hat er doch bei einem nächtlichen Fall seine Perücke verloren und sich üble Schrammen zugezogen. Doch keine Ausflucht hilft, Gericht muss gehalten werden. Der Fall ist delikat: Wer hat nachts im Zimmer des Mädchens Eve einen wertvollen Krug zerbrochen? Der Schuldige ist der Richter selbst, der mit Lügen und Finten die Wahrheit zu vertuschen sucht. Als Adams Amtsmissbrauch und seine sexuelle Erpressung Eves zu Tage kommen, ist jedes Vertrauen verspielt – auch Eve und ihr Verlobter zucken vor dem Versöhnungskuss zurück.
Jeder spielt für sich allein
Lanik meidet jeden Klamauk, die Inszenierung bleibt artifiziell choreografiert: Die Darsteller stehen oft statisch aufgereiht oder rennen grundlos hin und her. Jeder spielt für sich allein. Lambert Hamels schlitzohriger Adam differenziert die Komik subtil: Kaum erlässt ihm Walter die Formalitäten, fläzt er sich bequem in seinen Sessel, füttert später den widerstrebenden Gerichtsrat mit Käse. Rainer Bocks Walter ist ein genervter Beamter mit Durchblick, aber nicht frei von Versuchungen: Wenn er nach Klärung des Falles Eve küsst, ist das ungeniert sexuell. Eve (Anne Schäfer bleibt trotz blutroter Lippen blass) hat ihre Ehre aufs Spiel gesetzt, um ihren Verlobten Ruprecht vor dem Kriegsdienst in Ostindien zu bewahren. Was vielleicht in den zwei Minuten, die sie mit Adam alleine war, geschehen ist, verraten ihre Hände, die über ihren Körper streichen, als schließlich die Wahrhheit aus ihr herausbricht.
Barbara Melzl macht als schick bebrillte Marthe Rull die Geschichte des Krugs zu einer Bravourarie, Jennifer Minetti liefert als Zeugin Brigitte ein Musterbeispiel Kleistscher Sprachbehandlung. Shenja Lacher ist ein aufbrausender, ungeschickter Ruprecht, Mark-Alexander Solf als Schreiber Licht ein unverhohlener Karrierist. Völlig unpassend wirken zwei blonde, kurzberockten Klon-Girlies als Mägde. Am Ende taut der Schnee, das tropfende Schmelzwasser hinterlässt hässliche Spuren auf den Figuren – wie der ganze Fall.
Gabriella Lorenz
Residenz Theater, 13., 24. 2., 2., 6. 3., 20 Uhr, Tel.21851940
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