Soundtrack des Lebens
Gute alte Zeiten: Der Schauspieler Bill Nighy zu dem Film „Radio Rock Revolution“ des Regisseurs Richard Curtis
Er kam erst spät zum Film, seinen internationalen Durchbruch hatte Schauspieler Bill Nighy (59) 2003 als alternder Rockstar in Richard Curtis „Tatsächlich... Liebe“. Seitdem hat Hollywood den schlaksigen Briten regelmäßig für exzentrische Nebenrollen in Filmen wie „Fluch der Karibik“ engagiert, zuletzt war Nighy als General Friedrich Olbricht in „Operation Walküre“ zu sehen. In Richard Curtis’ „Radio Rock Revolution“ (ab Donnerstag im Kino) spielt er den Chef eines britischen Piratenradios in den 60er Jahren.
AZ: Mr. Nighy, haben Sie einst selbst Piratenradio gehört?
BILL NIGHY: Die öffentlich-rechtlichen Sender haben damals nur die Musik von Vati und Mutti gespielt. Dann war plötzlich diese neue, radikale, elektrische Musik – und die Piratensender waren in Großbritannien die einzigen, die uns diese Musik geboten haben.
Sie haben früher selbst beim Radio gearbeitet.
Das war Teil meiner Ausbildung als Schauspieler, ich machte hauptsächlich Hörspiele. Radio ist ein wunderschönes Medium. Meiner Meinung nach hätte die technologische Entwicklung beim Radio aufhören sollen.
Wie würde sich der Soundtrack Ihres Lebens anhören?
Die allerwichtigsten Musiker für mich waren Bob Dylan und die Rolling Stones. Danach kommt Soul-Musik von Marvin Gaye, Aretha Franklin, Prince, Otis Redding, dann Blues von John Lee Hooker, Muddy Waters und Chuck Berry. Ich war vor vier Jahren noch einmal in einem Stones-Konzert – die sind sagenhaft. Vergessen Sie Mode, die Zeit, das Datum des heutigen Tages – die Stones sind die größte Rhythm & Blues-Band!
Wie sah Ihre persönliche Rebellion in den 60ern aus?
Ich war nicht rebellisch, nur verwirrt. Ich war mit meiner Frisur beschäftigt, habe versucht, die richtige Jeans und eine Freundin zu bekommen. Die internationale politische Situation hat mich nicht beschäftigt. Ich habe ganz am Anfang in einer sozialistischen Theatergruppe mitgespielt. Sie haben immer von „links“ gesprochen, und das war für sie offensichtlich eine gute Sache, und „rechts“ etwas ganz Böses. Aber ich habe nie verstanden, worüber da geredet wurde.
Immerhin wollten Sie einst Journalist werden?
Mein großes Vorbild war Ernest Hemingway. Der war mit 17 Reporter beim „Toronto Star“, berichtete von der italienischen Front, wurde verwundet, verliebte sich in eine Krankenschwester und hat über diese Liebesaffäre ein wunderschönes Buch geschrieben – das klang alles sehr vielversprechend für mich, nur dass ich damals nicht beim „Toronto Star"“gelandet bin, sondern bei einem Provinzblatt. Aber auch die haben mich wieder weggeschickt, weil mir die Qualifikationen fehlten.
Was haben Sie getan, um Ihre Eltern zu provozieren?
Ich bin mit 16 nach Paris durchgebrannt, wollte dort einen Roman schreiben. Kennen Sie das Gefühl, wenn man sich als Jugendlicher mit jeder Faser seines Körpers danach sehnt, woanders zu sein? Ich wollte nach Paris, weil all die Schriftsteller, die ich damals gelesen habe, James Joyce, Scott Fitzgerald und natürlich Hemingway, sich dort in den 20er Jahren herumgetrieben haben. Ich habe meinem Vater einen wichtigtuerischen Brief geschrieben mit Sätzen wie: „Ich kann nicht länger unter deinem repressiven Regime leben.“ Das ist mir heute noch peinlich. Mein Vater hat einen Sohn wie mich nicht verdient.
Und den Roman haben Sie bis heute nicht geschrieben?
Nein, ich bin unglaublich gut darin, Dinge, die ich mir vorgenommen habe, nicht zu tun. Deshalb arbeite ich auch so viel, um all die anderen Vorhaben nicht angehen zu müssen. Meine ganze Schauspielerkarriere ist eine Ersatzaktivität.
In der Generation Ihrer Eltern war der Rock’n’Roll verpönt. Gibt es etwas, was Sie an der heutigen Musikkultur nicht ausstehen können?
Wenn Leute zu einem Hip-Hop-Beat über die Größe ihrer Genitalien berichten – da steige ich aus. Die Techno-, Trance- und Elektronik-Musik lässt mich vollkommen kalt. Musik ohne Worte und Gesang gefällt mir nicht.
Glauben Sie, dass Musik die Gesellschaft verändern kann?
Die Musik der 60er Jahre hat keinen Einfluss auf die Politik gehabt. Politiker sind harte Brocken, die scheren sich nicht um Musik. Schauen Sie sich unsere Generation an: Wir sind mit Richard Nixon und Margaret Thatcher bestraft worden.
Martin Schwickert
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