Sinnliche Kristalle
Heute bekommen Bea und Walter Betz den Architekturpreis für ihr Lebenswerk – sie sind geprägt von großen Amerikanern, unabhängig von allen Moden und bauen menschenfreundlich
Sobald die Rede auf das Hypo-Hochhaus am Effnerplatz kommt, sagt Walther Betz etwas Überraschendes: „Ich möchte nicht immerzu auf dieses eine Projekt reduziert werden.“ Das ist insofern ungewöhnlich, da ja nicht wenige Architekten froh wären, ein echtes Wahrzeichen geschaffen zu haben, das jedes Kind kennt und das zugleich seinen festen Platz in den Geschichtsbüchern des internationalen Hochhausbaus hat. Eine Landmarke von zeitloser Moderne – auch wenn der neue Besitzer, die Unicredit, in letzter Zeit die Pflege des 114 Meter hohen Denkmals sträflich vernachlässigt.
Doch Walther Betz, der heute gemeinsam mit seiner Büropartnerin und Ehefrau Bea den nur alle drei Jahre vergebenen und mit 10000 Euro dotierten Münchner Architekturpreis „in Anerkennung eines Lebens-/Gesamtwerks“ bekommt, ist ein bisschen wie seine Architektur: Unabhängig und selbstbewusst von allen Zeitgeist-Moden – aber auch vom eigenen Werk. Das unterscheidet ihn von den Stars der internationalen Jet-Set-Architektur, die ihre einmal gefundene Formensprache über alle Kontinente verteilen. Die Betz-Architekten (seit 1994 im Büro ergänzt um Sohn Oliver) haben nie versucht, eine Marke zu werden, die in Bogenhausen genauso erkannt wird wie in Bilbao. Ihr Credo ist die stete Suche nach einer Verbindung von technischer Kühnheit, konsequent auf den jeweiligen Ort und den Bauherrn abgestimmter Individualismus sowie menschenfreundliche Gestaltungsprinzipien.
Barock in der Muttermilch
Es waren die frühen 50er Jahre, in denen Bea wie Walther ihre architektonische Prägung erhielten: Sie studierte in den USA und arbeitete unter anderem bei Frank Lloyd Wright, er hatte in Würzburg den Barock sozusagen mit der Muttermilch eingesogen und lernte dann an der ETH Zürich die amerikanische Architektur kennen, und in München bei Sep Ruf die süddeutsche Nachkriegs-Moderne.
Doch auch die Vorbilder wurden stets kritisch hinterfragt. Walther Betz kann wunderbar erzählen, wie er sich bei einem Besuch in Chicago in jenen frühen Jahren in eines der hermetisch abgeriegelten Hochhäuser schlich, sich dann aber bei der heimlichen Besichtigungstour in dem lichtlosen Klotz fürchterlich verirrte. Er schwor sich, niemals solche Betongebirge zu errichten, in denen den Menschen weder Licht und Luft zugestanden wird. Womit wir wieder beim Hypo-Hochhaus wären und der Frage, warum es so anders ist als andere Hochhäuser...
Wer darüber hinaus wissen will, was die Qualität der Betz-Architekten ausmacht, der sollte in München am Stiglmaierplatz in den öffentlich zugänglichen Innenhof des Bürozentrums „Nymphe3“ gehen – eine außerordentlich lebendige, sinnliche Moderne, Häuser wie geschliffene Kristalle, humane Proportionen und trotzdem imponierend und unverwechselbar.
In München rar gemacht
Die Betz-Architekten haben viele Schul- und Verwaltungsbauten errichtet, unter anderem das Unterhachinger Gymnasium, das Landeskriminalamt in Berlin und die Deutsche Botschaft in London, außerdem Landhäuser an den bayerischen Seen. In München selbst aber sind ihre Werke erstaunlich rar. Jahrelang kam keine einzige Anfrage von der Stadt, erzählen sie, die lange Ära von Stadtbaurätin Thalgott ab Anfang der 90er Jahre empfanden sie als bleierne Zeit. Fast scheint es, als wollte München mit dem Architekturpreis etwas wiedergutmachen im Verhältnis zu Bea und Walther Betz. Es wäre überfällig.
Michael Grill
- Themen: