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Heute Premiere in den Kammerspielen: Barbara Weber inszeniert ein Projekt über das Gangsterpaar „Bonnie und Clyde“ mit dem Schauspieler Oliver Mallison in der männlichen Hauptrolle
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Heute Premiere in den Kammerspielen: Barbara Weber inszeniert ein Projekt über das Gangsterpaar „Bonnie und Clyde“ mit dem Schauspieler Oliver Mallison in der männlichen Hauptrolle

Sie sind das bekannteste Gangster-Liebespärchen der Welt: Von 1932 bis 1934 überfielen Bonnie Parker und Clyde Barrow im Südwesten der USA mit ihrer Bande Banken, Läden und Tankstellen, etwa 13 Tote gehen auf ihr Konto. Am 23. Mai 1934 wurden beide von Polizisten erschossen. 1937 verfilmte Fritz Lang als erster ihre Story, Arthur Penns Film „Bonnie and Clyde“ aus dem Jahr 1967 mit Warren Beatty und Faye Dunaway ist bis heute Kult. Nun bringt die Schweizer Regisseurin Barbara Weber (34) den Stoff auf die Bühne der Kammerspiele, das Projekt wird heute uraufgeführt. Oliver Mallison spielt den Clyde.

AZ: Herr Mallison, orientiert sich die Aufführung an Arthur Penns berühmtem Film?

OLIVER MALLISON: Wir orientieren uns mehr am Pop-Phänomen. Die Geschichte hat ja einen Pop-Mythos nach sich gezogen: Ein Liebespaar stirbt als Aussteiger aus der Gesellschaft. Barbara Weber hat den Stoff schon 2002 mal als halbstündigen Trash-Abend inszeniert. Für die große Bühne musste das angereichert werden. Da stellt man auch den Anspruch, berührt zu werden.

Bei einem Projekt entwickeln Schauspieler und Regisseur gemeinsam den Text und die Aufführung. Wie lief das ab?

Wir haben uns erstmal zwei Wochen Filme angeschaut, Material beschafft, Referenzthemen gesucht, geredet und fantasiert. Dann haben der Dramaturg Matthias Günther und die Regisseurin Szenen geschrieben, die wir am nächsten Tag probiert haben. Jede Probe ist ein Kampf, weil man sich nicht an einem fertigen Text reiben kann. Das ist kraftraubend, macht aber Spaß.

Aus welchen Quellen setzt sich der Text zusammen?

Aus Originalsätzen des Films, aus dem Drehbuch, aus dem „Buch zum Film“, aus Zitaten von Nouvelle-vague-Filmen wie Godards „Elf Uhr nachts“. Man will ja nicht Räuber und Gendarm spielen, und es soll nicht nur ein Trash-Abend werden. Man muss überlegen, was man erzählen will.

Was wollen Sie erzählen? Etwas über die Wirtschaftskrise 1929 als Motivation der beiden für ihre Raubzüge?

Unsere Motivation ist, Lebensmodelle zu untersuchen. Ausgangspunkt ist wie im Film Bonnies extreme Langeweile. Sie hat als Serviererin in einer Kleinstadt keine Perspektive. Da begegnet sie diesem Mann aus kriminellem Milieu. Bonnie und Clyde suchen Möglichkeiten, berühmt zu werden, etwas Besonderes aus sich zu machen. Sie wählen dafür als Aussteiger ein extremes Lebensmodell, wie später auch die Baader-Meinhof-Bande. Sie nehmen Waffen und überfallen Banken. Sie erfinden sich anfangs ganz naiv. Das verselbständigt sich und wird immer ernster. Dann geht ein Banküberfall schief, der erste Mord passiert – sie werden in ihre eigene erfundene Geschichte hineingesogen.

Als sie 1934 erschossen wurden, war Clyde 25, Bonnie 23. Spielen die Biografien der realen Personen eine Rolle?

Nein. Schon die Filmfigur C.W. Moss ist aus drei realen Bandenmitgliedern zusammengesetzt. Einer der drei gab mal ein Interview im „Playboy“. Er sagte, es war viel härter und brutaler, als im Film dargestellt. Wir blicken aus dem Nachhinein auf den Pop-Mythos. Bei uns überlagern sich auch die Ebenen: Andere Figuren behaupten, sie seien Schauspieler, die zum Drehen eingeladen seien.

Also keine Identifikation mit den Gangsterhelden?

Für mich nicht. Dazu steckt man viel zu sehr in den ganzen Gangsterklischees drin, die man anzitieren kann. Man muss locker bleiben dabei.

Sie spielen zur Zeit auch noch in sechs anderen Stücken.

Das liegt daran, dass einige Schauspieler gegangen sind, neue aber erst mit Johan Simons kommen. So müssen wir unser Repertoire mit weniger Leuten bestreiten. Aber mit Barbara Weber hatte ich schon 2005 bei „Sauerstoff“ von Iwan Wyrypajew gearbeitet, das war sehr erfrischend. Deshalb war es mein Wunsch, hier dabei zu sein. Als nächstes Stück kommt für mich noch „Nachtasyl“, dann hoffe ich, etwas mehr Luft zu haben und mehr Zeit für meine Familie.

Gabriella Lorenz

Premiere in den Kammerspielen, heute, 20 Uhr, Tel. 23396600

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