Sex und Eisbären
Die 60. Berlinale präsentierte sich mit einem Wettbewerb voller Irritationen, aber wenig Entdeckungen. Michael Winterbottom sorgt zum Abschluss für die kräftigsten Buhrufe
Da sage noch jemand, Filme könnten die Welt nicht ein bisschen besser machen. Die bosnische Regisseurin Jasmila Zbanic hat mit ihrem Berlinale-Gold 2006 für „ Esmas Geheimnis“ bewirkt, dass Tausende im Balkankrieg vergewaltigte Frauen als Opfer anerkannt eine Mini-Rente bekommen. Auch ihr neuer Film „Na putu“ ist absolut preiswürdig.
Es gibt zum 60. Berlinale-Jubiläum wenige Konkurrenten in einem Wettbewerb, der willkürlich zusammengestellt anmutet. Da rutschten Filme rein, die in Nebenreihen besser platziert gewesen wären – trotz Nationen-Proporz und Verneigung vor einstigen Preisträgern. Die Stimmung war nicht nur meteorologisch vorwiegend mies, cinéastische Entdeckungen fanden meist dort statt, wo man halt nicht war, wenn man den Wettbewerb verfolgte. Die Jury unter Vorsitz von Werner Herzog ist heuer weniger denn je zu beneiden. Am Samstagabend werden auf der Gala im Berlinale-Palast die Bären-Trophäen verteilt.
Liebenswerte Sarajewo
Vielleicht geht eine erneut an Jasmila Zbanic, dieses Mal für „Na putu“. Es geht um ein liebenswertes Ehepaar Anfang 30 im heutigen Sarajevo, Luna ist Stewardess, Amar Fluglotse. Sie wünschen sich ein Kind, was nur per Insemination geht. Böse Erinnerungen an den Balkankrieg spült Amar gern mit Schnaps weg. So verliert er Selbstachtung und Job, lässt sich von einem Kumpel aus Militärzeiten als Mitglied der fundamental-islamischen Wahhabiten anwerben.
Zum Thema Islam auf der politisch orientierten Berlinale gehören auch der Episodenfilm „Shahada“ des deutschen Filmhochschülers Burhan Qurbani und der beklemmende Selbstjustiz-Thriller „Tage des Zorns“ des Iraners Rafi Pitts. Sein vom in Berlin ansässigen World Cinema Fund geförderter Film wird gewiss einen Preis gewinnen.
Der Eisbär ist harmlos
Extremfilmer Herzog könnte auch der wuchtige, an Originalschauplätzen gedrehte russische Beitrag „How I Ended This Summer“ des jungen Alexei Popogrebsky gefallen. Es geht um zwei Männer, die auf einer altmodischen Station an der nordöstlichsten, arktischen Spitze von Russland alle drei Stunden radioaktive Strahlenmessungen per Funk durchgeben müssen. Ein Eisbär spielt auch mit, aber der ist der harmloseste in dieser gefährlichen Natur- und Männerwelt.
Auf der Top-Liste im US-Fachblatt „Screen“ rangiert der russische Film ganz vorne, wie auch Polanskis „Ghostwriter“ und das im Gedächtnis haftende rumänische Drama „When I Want To Whistle, I Whistle“ von Florin Serban über einen 18-jährigen Jugendstraftäter, der sich per Geiselnahme aller Zukunftschancen beraubt.
Publikumshit war die norwegische Tragikomödie „A Somewhat Gentle Man“ von Hans Petter Moland mit Stellan Skarsgard als lakonisch zupackendem Ex-Knasti, der sein Familienleben wieder in Ordnung bringen will, aber dank alter Gangsterfreunde und seiner sanften Virilität in abstruseste Abenteuer von Sex & Crime gerät. Die Nordländer trauen sich Unaussprechliches.
Buhs für Winterbottom
Zum Schluss noch ein Skandal. Der ansonsten politisch engagierte Brite Michael Winterbottom wollte es wohl mal richtig krachen lassen mit dem Remake „The Killer Inside Me“ nach dem Roman von US-Schriftsteller Jim Thompson (gestorben 1977). Der Ich-Erzähler ist ein texanischer Kleinstadt-Cop (Casey Affleck), ein psychopathischer Killer, dem seine bescheuerten Kollegen erst nach Serienmorden auf die Spur kommen. Das Machwerk besteht aus einer Aneinanderreihung aus Ekel-Sex-Szenen (mit Jessica Alba, Kate Hudson) und zynischer Gewalt. Laute Buhs. Das war’s dann mit der Jubiläums-Berlinale.
Angie Dullinger
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