Seine Sänger trug der Maestro auf Händen
Münchens ehemaliger GMD, der Dirigent Wolfgang Sawallisch wird 85 Jahre alt
Der gestrenge Maestro Sergiu Celibidache liebte es, zu provozieren: „Ich kenne keinen Dirigenten, der Musik macht“, wetterte er einst im AZ-Interview. „Wolfgang Sawallisch halte ich für einen Hochschuldirektor, einen Langstrecken-Spezialisten in Mezzoforte.“ Harte Worte. Heute kann man darüber lächeln. „Celi“ ist, wenn nicht „out“, so doch zumindest nicht mehr „in“. Einspielungen von Wolfgang Sawallisch, ob von Strauss („Capriccio“), Wagner („Der fliegende Holländer“) oder die vier Schumann-Symphonien, zählen nach wie vor zum eisernen Bestand für wahre Musikfreunde.
Mittlerweile ist es still um ihn geworden. Zurückgezogen lebt Wolfgang Sawallisch, der am Dienstag seinen 85. Geburtstag feiert, in Grassau nahe dem Chiemsee. Seit 16 Jahren hat er keine Oper mehr dirigiert. Wohl auch deshalb nicht, weil ihm moderne Inszenierungen ein Dorn im Auge sind und er noch immer kein Hehl daraus macht, dass sich die Szene der Musik unterzuordnen habe. Als er mit August Everding die Geschicke der Bayerischen Staatsoper leitete, ließ er sich mit Wagner feiern. Die spärliche Avantgarde überließ er den Gästen.
Nagano nennt ihn als Vorbild
Als Generalmusikdirektor führte Wolfgang Sawallisch das Staatsorchester zu neuen Höhen: die Streicher wunderbar homogen, Holz- und Blechbläser ausdrucksstark, doch nie dominant. Kein Wunder, dass Kent Nagano in höchsten Tönen schwärmt: „Zusammen mit Günter Wand ist Sawallisch für mich als Vorbild von unschätzbarer Bedeutung.“
Zuverlässigkeit ist eine Eigenschaft, die er besonders schätzt. Auch wenn er sicherlich ahnt, dass für das Publikum ein unberechenbarer Held interessanter sein mag. Als der Wiener Musikvereinssaal 1970 seinen 100. Geburtstag feierte, war Sawallisch, damals Chef der Symphoniker, mit 255 Konzerten der Dirigent mit den meisten Auftritten. Auf die Minute pünktlich begann er die Proben, ob er nun aus Japan oder aus Hamburg anreiste.
Manchmal hätte man sich ein wenig mehr Glamour gewünscht. Exzentrisch wie Carlos Kleiber war Sawallisch nie. Aber für seine musikalischen Überzeugungen wusste er zu kämpfen – mit Erfolg.
Von München nach Philadelphia
Die Jahre in Philadelphia bezeichnet er als einen „Höhepunkt in der Tätigkeit als Chefdirigent eines Orchesters“. Und dennoch können wir Münchner uns freuen, dass wir das Glück hatten, ihn dort zu erleben, wo er sich nicht nur als sehr guter, sondern als außergewöhnlicher Musiker zeigte: am Opernpult. Die Sänger wurden von ihm auf Händen getragen.
Auch als Pianist war Sawallisch keine Hürde zu hoch, wie ein Mitschnitt der Chorfantasie von Beethoven eindrucksvoll beweist. Elisabeth Schwarzkopf, Dietrich Fischer-Dieskau und alle anderen Größen des Liedgesangs ließen sich von ihm begleiten. Als in Philadelphia vor einer konzertanten „Walküre“ das halbe Orchester im Schneesturm stecken blieb, setzte sich der Dirigent entschlossen selbst an den Flügel und „rettete“ das Konzert. Prima la musica – zuerst die Musik, für Wolfgang Sawallisch eine Selbstverständlichkeit.
Volker Boser