Sehnsucht nach hoch gestapeltem Glanz

Jungregisseur Bastian Kraft bringt Thomas Manns Roman „Felix Krull” ins Volkstheater
Michael Stadler |
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Das ist schon ein cleveres Ding, das Radikal-jung-Festival im Frühling im Volkstheater: Nicht nur, dass hier jungem Theater eine Plattform geschaffen wurde, sondern hier kann das Haus von Christian Stückl auch Kontakte zu jungen Regisseuren wie Bastian Kraft knüpfen. Der war bereits zweimal bei Radikal jung, 2010 mit Kafkas „Amerika” und 2011 mit „Dorian Gray”. Nun hievt er Thomas Manns letzten Roman „Felix Krull” auf die Kleine Bühne des Volkstheaters. Der Hochstapler Krull wird dabei gleich von drei Schauspielern, Pascal Fligg, Justin Mühlenhardt und Nicola Fritzen, gespielt.

AZ: Herr Kraft, Sie haben scheinbar ein Faible für Roman-Adaptionen. Hat man dabei eine größere Freiheit?
BASTIAN KRAFT: Das ist bei mir keine bewusste Entscheidung gewesen, dass ich größtenteils Romane mache. Wenn man das ein paar Mal gemacht und sich das gut zusammengefügt hat, ist es einfach so, dass die Theater einem öfters solche Projekte vorschlagen. Wobei „Felix Krull” ein Vorschlag von mir war. Was mich an der Arbeit schon reizt, ist, dass ich die Grundform, die ich für so einen Abend brauche, erst noch erfinden muss.

Thomas Manns Sätze sind sehr gewunden. Lässt sich seine Sprache bewahren?
Ja, schon. Das ist bei „Felix Krull” auch ein bisschen einfacher als bei seinen anderen Romanen, weil hier doch sehr viele Passagen dialogisch sind. Von diesen langen Bandwurmsätzen haben wir schon einige drin, ansonsten konnten wir entschlacken. Der Theatralisierung kommt sehr entgegen, dass der Roman komplett aus der Ich-Perspektive geschrieben ist. Eigentlich ist er ein einziger großer Bekenntnis-Monolog.

Der nun auf drei verteilt ist. Bei „Dorian Gray” war es hingegen ein Schauspieler, der alle Rollen spielte. Identität erscheint bei Ihnen gesplittet: Einer für alle oder alle für einen.
Nicht zwangsläufig. Aber was mich am Identitäts-Thema interessiert, ist, dass Identität ja immer zwei Komponenten hat: einen wahren Kern, von dem wir ausgehen in unserer Kultur, und eine Rolle oder sogar mehrere Rollen, die man spielt. Dieser Zwiespalt ist eigentlich auch der zwischen Schauspieler und Figur: Ich bin jemand und versuche, jemand anderen überzeugend zu spielen, dass das Publikum mir glaubt. Bei uns behaupten alle drei Männer, sie seien Felix Krull. Das muss schon eine Lüge sein. Es gibt dann einen Wettbewerb, wer denn am besten lügt.


Bei Thomas Mann wird dieses Lügen von der Umwelt als befriedigend empfunden.
Thomas Mann treibt das ja auch ins Charmante, der lässt ja Felix Krull keinen rechten Schaden anrichten. Der reichen Frau, deren Schmuck er klaut, ist das wurscht, die hat davon Lastwagenladungen zu Hause. Was Krull auslebt, ist eine Freiheit von Identität. Der sagt, es entspricht meinem wahren inneren Kern, dass ich in der Gesellschaft aufsteige und ich verwirkliche das auch. Das entspricht dem, was wir heute mit Persönlichkeits-Tuning machen: Dass man im Lebenslauf ein bisschen dieschönere Sachen hinschreibt. Oder im Extremfall, dass Guttenberg sagt, ich möchte Doktor sein – dann nehme ich mir einfach den Doktortitel. Aber das kommt ja häufig vor: Dass man sich fürs Wochenende aufmotzt und für eine Nacht Teil der High Society sein will, in diesem Club…

P1.
Eben. Oder die Maximilianstraße. Das sind ja Laufstege, auf denen man versucht, einem höheren Ich so ein bisschen näher zu kommen.

Die Wahl des Stücks hatte auch mit München zu tun?
Das war schon ein Gedanke, dass München für mich eine Stadt ist, die dafür ein fruchtbarer Boden ist. In Berlin laufen die Leute mit zerrissenen Hosen rum, da gibt es eher die Pose von Authentizität oder von: arm, aber sexy. Da würde dieses Thema, in dem es um den Aufstieg geht, gar nicht so einschlagen. In München spüre ich eine viel größere Sehnsucht nach Glanz. Das ist aber gar nicht negativ. Das gehört zum Menschsein dazu.

Was ist Ihr Ziel hinsichtlich des Zuschauers?
Das ist eigentlich immer so: Der Roman, in diesem Fall Felix Krull, hat etwas Bestimmtes mit mir gemacht, und ich suche eine theatrale Form, die mit dem Zuschauer das Gleiche macht. Beim Lesen des Romans finde ich: Ich werde umgarnt mit einer Geschichte, die mir vom Ich-Erzähler als Wahrheit verkauft wird. Und ich lese gierig weiter, weil ich mehr spannende Episoden hören will. Was ich gerne hätte, ist, dass man von den Schauspielern und ihrer Erzähllust infiziert wird und dass man immer wieder an den Punkt kommt, wo man merkt, dass man gerne diese Geschichte glauben will.

Haben Sie eigentlich einmal in diesem Interview gelogen?
Nicht explizit. Aber ich glaube, ich kann gar nicht erzählen, ohne meine Geschichte zu gestalten. Das merkt man am stärksten an Anekdoten, die in der Familie existieren. Die entwickeln sich von Jahr zu Jahr woanders hin und irgendwann weiß niemand mehr genau, wie sich das zugetragen hat. Aber alle glauben, diese Geschichte ist die Wahrheit.

Eine Lüge kann aber nur eine Lüge sein, wenn man sie mit Absicht erzählt.
Genau. Also, ich habe nicht absichtsvoll gelogen.

Premiere ausverkauft; noch am 21., 22. und 23.6., Tel.523 46 55

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