Scientology-Film: Drill und Psychoterror
Nach Erzählungen von Aussteigern und Experten drehte die ARD unter strenger Geheimhaltung den Film „Bis nichts mehr bleibt“ . Scientology bestreitet die gezeigten Methoden.
Das Auto eines Informanten wurde aufgebrochen, Notizbücher wurden gestohlen, dann fing der Telefonterror an: „Wir wissen, dass Sie einen Film über Scientology drehen“, sagte eine Stimme am Telefon zu Regisseur und Drehbuchautor Niki Stein. Auch in der SWR-Redaktion und bei der Produktionsfirma Teamworx gab es anonyme Anrufe – fast jeden Tag. Dabei hatte man alles getan, den Dreh zum Scientology-Film „Bis nichts mehr bleibt“ streng geheim zu halten.
Man befürchtete, dass die Organisation die Ausstrahlung mit juristischen Mitteln verhindern könnte. „Scientology hat ständig versucht, Details über das Projekt zu erfahren“, sagt SWR-Fernsehfilmchef Carl Bergengruen. Nach jedem Drehtag mussten die Schauspieler deshalb die Drehbücher wieder abgeben. Auf jeder Klappe, jedem Script stand zur Tarnung der Titel eines fiktiven „Tatorts“: „Der Tote im Sund“, der fertige Film wurde nicht aus der Hand gegeben, nur einer kleinen Gruppe ausgewählter Journalisten vorgeführt.
Zum ersten Mal wagt sich ein deutscher Sender an einen Spielfilm über Scientology, die Organisation wird offen beim Namen genannt. ARD-Programmchef Volker Herres sagt: „Wir haben es hier nicht mit einer Religion zu tun. Scientology geht es vor allem um Macht, das Geschäft und den Ausbau des Netzwerkes.“
Im Film spielt Felix Klare den Familienvater Frank Reiner, der in die Fänge von Scientology gerät. Die Organisation gibt Frank, dessen Karriere ins Stocken geraten ist, einen Job, dadurch gewinnt er Selbstachtung. Seine Frau Gine (Silke Bodenbender) ist anfangs skeptisch, doch bald wird sie zur 1A-Scientologin, die gemeinsame Tochter kommt in ein Scientology-Internat.
Zu spät erkennt Frank, dass die Organisation sein gesamtes Leben beherrscht. Er sagt sich los, doch seine Familie verliert er an Scientology. Robert Atzorn und Sabine Postel spielen Gines Eltern, Suzanne von Borsody ist Franks Anwältin und Kai Wiesinger ein aalglatter Scientologe.
„Bis nichts mehr bleibt“ zeigt Scientology als manipulierende, ausbeuterische Psychosekte. Der Film versucht gar nicht erst, dokumentarisch-objektiv zu sein, er zeigt kasernenartigen Drill, den Umgang mit potenziellen Aussteigern, stundenlange Verhöre.
Helen (Nina Kunzendorf) ist die „Ethik-Offizierin“, die dafür verantwortlich ist, dass Frank seinen Weg geht, teure Kurse besucht und seine Frau rekrutiert. Jedes Verhalten, das nicht dem übergeordneten Scientology-Zweck dient, bekämpft sie – erst mit ihrem Dauerlächeln, später mit offenem Psycho-Druck. Als Belohnung verspricht Scientology „Die Brücke zur Freiheit“. Doch der ARD-Film zeigt: Auf dieser Brücke gehen Menschen zugrunde – psychisch und finanziell.
Die Idee zum Film hatte SWR-Fernsehfilmchef Bergengruen. Während seines Studiums in den USA hatte er selbst einmal an einem Test von Scientologen teilgenommen, weil er dachte, er solle Foodprodukte testen. Die Scientologen attestierten ihm große psychische Probleme. Er floh. „Seit damals ist Scientology für mich ein Thema“, sagt er. Und als dann Star-Scientologe Tom Cruise bei der Bambi-Verleihung 2007 in Deutschland einen Preis in der Kategorie „Mut“ bekam, war das der Moment, in dem Bergengruen wusste: „Wir müssen diesen Film machen.“
Die Geheimniskrämerei im Vorfeld sei notwendig gewesen, sagt Hauptdarsteller Felix Klare der AZ. „Als ich mit Ursula Caberta Essen war und wir das Lokal gewechselt haben, erkannte sie einen Scientologen, der uns entgegen kam. Und beim Rausgehen trafen wir ihn wieder.“ Caberta ist die Scientology-Beauftragte der Hamburger Innenbehörde und hat die Produktion beraten. „Sie scheint unter ständiger Beobachtung zu stehen“, sagt Klare.
Mehr als fünf Anrufe bei der Produktion habe es nicht gegeben, sagt dagegen Scientology. Bedrohlich sind die Bilder aus dem Straflager in Kopenhagen, in dem Abtrünnige wieder auf den Pfad der Scientology-Tugend gebracht werden – mit Psychofolter, militärischem Drill und harter körperlicher Arbeit.
Es gebe keine Straflager, sagt Scientology-Sprecher Jürg Stettler dazu, sondern „ein Rehabilitationsprojekt, wo man fünf Stunden studiert und fünf Stunden auch ein bisschen mehr körperlich arbeitet“. Mit dem Film schüre die ARD „eine Stimmung der Intoleranz und Diskriminierung gegen eine Religionsgemeinschaft“.
Autor und Regisseur Niki Stein hat die Erfahrungsberichte mehrerer Informanten zu einer typischen Scientology-Karriere zusammengesetzt. Größtenteils basiert der Film auf den Erlebnissen des Hamburger Scientology-Aussteigers Heiner von Rönn (siehe unten). „Wir haben aber kein Leben eins zu eins nacherzählt. Das konnten wir gar nicht, ohne unsere Informanten zu gefährden.“
Angelika Kahl
- Themen:
- ARD
- Suzanne von Borsody
- Tom Cruise