Schweigen und signieren
Herta Müller liest in der seit Wochen ausverkauften Großen Aula der Ludwig-Maximilians-Universität und gibt dabei nichts von ihrer Person preis
Ein wenig erschöpft sieht sie aus, die Nobelpreisträgerin Herta Müller kurz vor ihrer Lesung in der Großen Aula in der LMU München. Doch kaum spricht sie von Oskar Pastior, dem Lyriker, dessen Erzählungen über seine fünf Jahre in einem sowjetischen Gulag Ende der 40er Jahre sie in ihrem Buch „Atemschaukel“ (Hanser) verarbeitet, entwächst ihrer brüchigen Stimme eine ungeahnte Kraft.
Müller schwärmt von Pastiors lyrischer Sprache, in seinen Texten habe sie nicht nur „den fantastischsten Realismus gefunden“, den sie je erlebt habe, hier „habe ich meine eigene Existenz gespiegelt gesehen“.
Eine Dreiviertelstunde liest Herta Müller, und die Verletzlichkeit des Textes korrespondiert mit ihrer eigenen. Ein beeindruckender Auftritt.
Härte und Poesie
Der leichte Akzent ihrer Sprache, der sie ein wenig hart klingen lässt, betont die scharfen Kanten, die bei allen poetischen Gedanken dem Text über den „Zement“, die „Tücher“ und den „Hungerengel“ inne wohnen. Härte und Poesie wechseln erbarmungslos und gehen eine eigenartige Symbiose in Müllers Roman ein. Durch das Nachdenken über Materialien habe Oskar Pastior sich zu retten versucht, und Stofflichkeiten sind letztlich die einzige Wahrheit, die bleibt.
Der Andrang für den Abend ist überwältigend. Das Literaturhaus hatte die Veranstaltung nur im Internet angekündigt, dennoch waren die 900 Plätze binnen Stunden weg – zum Ärger der Stammbesucher, die sich am gedruckten Programm des Hauses orientieren.
Verpasste Chance
Doch die Lesung wurde zum Abend der verpassten Gelegenheiten, bei allem Respekt vor Müllers Werk. Professor Stefan Sienerth sollte ein Gespräch mit Müller führen, referiert aber eine halbe Stunde die Biografie der Autorin. Er liest sie vom Blatt ab, während Müller schweigend neben ihm sitzt und ihrer Aufgabe harrt. Dann zwei Fragen nach Oskar Pastior, von dem Müller gerne erzählte, und die Lesung beginnt.
Welche Chance wurde hier verpasst, mit der Nobelpreisträgerin ins Gespräch zu kommen! Bereits nach einer guten Stunde ist die Veranstaltung zu Ende, und Müller muss am fluchtartigen Verlassen der Bühne gehindert werden – die Signierstunde soll gleich beginnen. Immerhin, auch die erlöst Wirkende lächelt nun.
Professor Siehnert hat es gut gemeint, als er von Müllers Kindheit und Leben erzählte, von ihren Freunden und ihren Quellen für ihr Schaffen, aber hätte Müller das nicht auch selbst erzählen können? Anders, besser und mit ihren eigenen Worten?
Tina Schlegel