Schwedische Löcher?

Zocker wussten vorab vom Literatur-Nobelpreis an Le Clézio. Auch Horace Engdahl rätselt, ob die Akademie ein Geheimnis ausgeplaudert hat.
Abendzeitung |
X
Sie haben den Artikel der Merkliste hinzugefügt.
zur Merkliste
Merken
0  Kommentare
lädt ... nicht eingeloggt
Teilen  AZ bei Google News

Zocker wussten vorab vom Literatur-Nobelpreis an Le Clézio. Auch Horace Engdahl rätselt, ob die Akademie ein Geheimnis ausgeplaudert hat.

Für die meisten Menschen, den französischen Autor Jean-Marie Gustave Le Clézio eingeschlossen, war dessen Auszeichnung mit dem Literatur-Nobelpreis am Donnerstag eine faustdicke Überraschung. Nicht so für etliche Online-Zocker, denn der Name des Preisträgers ist wahrscheinlich vorab nach außen gedrungen und hat zu verdächtigen Wetteinsätzen geführt.

Wie der Sekretär der Schwedischen Akademie, Horace Engdahl, am Freitag in der Zeitung „Dagens Nyheter“ bestätigte, soll nach „undichten Stellen“ unter den Eingeweihten gefahndet werden: „Das sieht wirklich nicht gut aus. Wenn hier wirklich krumme Sachen passiert sind, müssen wir unsere Sicherheitsmaßnahmen weiter verschärfen.“

Einen Tag vor der Zuerkennung des Preises an Le Clézio waren die Wetteinsätze beim britischen Buchmacher Ladbrokes plötzlich massiv in die Höhe und die Quote für Gewinne umgekehrt deutlich nach unten gegangen. Sie sank vom ursprünglich 15-fachen Einsatz auf das Doppelte wenige Stunden vor der Bekanntgabe in Stockholm. Ladbrokes selbst stoppte die Wettmöglichkeiten wegen der als verdächtig eingestuften Entwicklung.

Schon bei Coetzee gab es seltsame Quoten-Bocksprünge

Ähnliche Entwicklungen hatte es 2003 bei der Vergabe an den aus Südafrika stammenden J.M. Coetzee (68) und drei Jahre später an den türkischen Schriftsteller Orhan Pamuk (56) gegeben. Auch damals schossen die Wetteinsätze für den späteren Preisträger jeweils unmittelbar vor der Bekanntgabe explosionsartig in die Höhe. Mit sonst selten zu vernehmender Selbstironie meinte Engdahl zu der Möglichkeit, dass einer der Juroren in der 17-köpfigen Akademie selbst die undichte Stelle gewesen sein könnte: „Inkontinenz in unseren eigenen Reihen wäre ungewöhnlich.“

Ein Nobelpreisjuror, der sein Geheimwissen zu Geld macht, wäre auch das letzte, was sich die Akademie noch leisten könnte. Schon die Entscheidungen der letzten Jahre waren nicht selten schrullig. „Das ist eine mutige Entscheidung der Jury. Ich weiß nicht, ob ich den Nobelpreis überhaupt verdient habe“, sagt Jean-Marie Gustave Le Clézio in einem der ersten Interviews nach der Bekanntgabe und nahm damit auf sympathische Weise die öffentliche Resonanz vorweg.

Die konservative Pariser Tageszeitung „Le Figaro“schrieb: „Le Clézio ist ein Schriftsteller, wie ihn die schwedische Akademie mag. Er hat hohe Ansprüche an die Literatur und setzt sich für ethnologische und ökologische Ziele ein. Der schwedische Juror Kjell Espmark erzählte, dass sie sich auf einer Umweltkonferenz in Mexiko getroffen hätten. Ein Pluspunkt in den Augen der Akademie, die auch besonders viel Wert auf diese Art von Engagement legt.“

Die „Neue Zürcher Zeitung“ nahm es lakonisch: „Seine Romane sind Traumgebilde, die verlorene Lebensformen wiederentdecken wollen. Dazu gehört eben, dass die Fahrten in die Ferne als Reisen nach innen enden – alles Themen, die den Kritikern heute eher unheimlich sind. Der Stockholmer Akademie und ihrem Sekretär ist wieder einmal eine Überraschung gelungen, da kann man nichts machen.“

Volker Isfort

  • Themen:
Lädt
Anmelden oder registrieren

Zum Login
Zu meinen Themen hinzufügen

Hinzufügen
Sie haben bereits von 15 Themen gewählt

Bearbeiten
Sie verfolgen dieses Thema bereits

Entfernen
Um "Meine AZ" nutzen zu können, müssen Sie der Datenspeicherung zustimmen.

Zustimmen
 
0 Kommentare
Bitte beachten Sie, dass die Kommentarfunktion unserer Artikel nur 72 Stunden nach Veröffentlichung zur Verfügung steht.
Noch keine Kommentare vorhanden.
merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.