Schwärmerischer Eroberer mit riesigen Träumen

Liebesabenteurer und großer Romancier: Johannes Willms’ Biografie von Marie-Henri Beyle, der sich Stendhal nannte
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Liebesabenteurer und großer Romancier: Johannes Willms’ Biografie von Marie-Henri Beyle, der sich Stendhal nannte

Seine Grabinschrift entwarf er zu Lebzeiten: „Arrigo Beyle/ Milanese/Scrisse/ Amò/ Visse“. Nun war der 1783 in Grenoblel geborene Schriftsteller Marie-Henri Beyle wahrlich kein Italiener, aber ein Mann, der das Leben als Abenteuerspielplatz ansah und im wahrsten Sinne des Wortes Dichter seines (Liebes-)Lebens wurde.

Uns ist Beyle nicht unter seinem bürgerlichen Namen im Gedächtnis, sondern unter seinem Pseudonym Stendhal als Schöpfer der großen Romane „Die Kartause von Parma“ und „Rot und Schwarz“. Beide wurden in den letzten Jahren von der Münchnerin Elisabeth Edl für den Hanser Verlag neu übersetzt, gewissermaßen wiederbelebt, und umfassend kommentiert.

Ein Erotomane

Den Autor selbst aber beleuchtet Napoleon-Biograf Johannes Willms nun von einer Seite, die man in dieser Genauigkeit gar nicht kannte. Stendhal, der schwärmerisch Liebende, der geradezu auf Eroberungen angewiesene Erotomane. Minutiös hat Stendhal seine Beischlafgeschichten in seinem intimen Tagebuch notiert, in verschiedenen Sprachen: „She seemed to have pleasure. For my own account I made that two times...“

Stendhal hasste seine Heimatstadt, die „Magenverstimmung“ Grenoble, ähnlich stark wie den ungeliebten Vater. Doch für fast mittellose Franzosen mit riesigen Träumen gab es zu Beginn des 19. Jahrhunderts nur eine Hoffnung – Napoleon. Mit dessen Grande Armée zog auch Stendhal 2006 nach Berlin (Jahre später auch nach Moskau), in der Hoffnung auf Ämter und höhere Aufgaben. Vorerst musste er als Kriegskommissar in Braunschweig das „Gekrächze von Raben“, die deutsche Sprache, ertragen. Immerhin durchstreifte er auf der Fahrt dorthin den Ort, den er später als Künstlernamen angeben sollte, und fand zwischen den Schenkeln der Mägde („Wie aus einem Guss!“) Entschädigung für das grauenhafte Essen („das man mit Grimm in sich stopft“) und das fürchterliche Wetter.

Er liebte Italien, aber nicht die Italiener

Sehnsucht hatte Stendhal nur nach Italien, die Idee von Klima, Lebensart und Kultur überhaupt für den Autor, wenn bloss die Bevölkerung nicht wäre: „Die italienische Kanaille ist die ärgerlichste auf Erden, aber unglücklicherweise kommt man als Reisender mit ihr dauernd in Berührung. Auch die Herbergen sind die schmutzigsten auf der Welt.“ Kaum zu glauben, dass hier der Autor der „Kartause von Parma“ schreibt, der Liebeserklärung an Italien schlechthin. Stendhal war ein Mann der Tat und der Idee, seine (an Frauen verhaftete) Träume trieben ihn durchs Leben, erst in seinen Vierzigern entdeckte er die wirkliche Befriedigung durch das Schreiben. Sein unstetes und phasenweise unglückliches, aber zutiefst schöpferisches Leben hat Willms nun in eine adäquat sinnliche Biografie gegossen.

Volker Isfort

Johannes Willms: „Stendhal“ (Hanser Verlag, 330 Seiten, 24.90 Euro)

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