Schminke für Madame
Zum 63. Internationalen Filmfestival wirkt Cannes ein wenig zerzaust, ein Unwetter spülteden künstlich aufgeschütteten Sand vom Strand. An Mittwoch ist Eröffnungsgala mit „Robin Hood“
Die schöne ältere Dame Cannes hat schon stärkere Stürme überlebt. 1939 zum Beispiel. Da sollten die ersten Filmfestspiele an der Côte d’Azur stattfinden. Marlene Dietrich war mit dem Passagierdampfer aus New York unterwegs, als Hitler in Polen einmarschierte. Der Zweite Weltkrieg war aus- und alles abgebrochen. Nach dem Neustart 1946 ging das Festival International du Film nur einmal unter, 1968, in den Studentenunruhen. Weshalb man jetzt auch erst beim 63. Festival de Cannes ist.
Und diesmal ein echter Untergang? Unwetter mit Zehnmeter-Wellen haben letzte Woche die Diva Cannes abgeschminkt. Die Strandpalmen sind zerrupft. Der Sandstrand ist weggespült und entlarvt als künstlich aufgeschüttet.
Jetzt sind überall Bagger, und ein Schaufel-Schiff räumt auch nachts vom Meer Sand an den Strand zurück, wo jetzt noch Beton-Quader ins Wasser ragen. In aller Hektik legt sich Cannes also schnell neue Schminke auf. Aber selbst die Fassade des Carlton Hotels am Edelboulevard Croisette wirkt seltsam nackt: Während des Festivals war sie immer und gesamt als Werbefläche vermietet. Jetzt stiert nur Angelina Jolie etwas ernst von einem Großplakat und wirbt für ihren Film „Salt".
Nostalgie
Tim Burtons 100-Quadratmeter-Suite im Carlton ist eingerichtet im Stil der 50er, als Cannes seine größte Zeit hatte, mit Liz Taylor, Robert Mitchum und Hitchcock, der mit Grace Kelly – auch im Carlton – „Über den Dächern von Nizza“ drehte. Der Exzentriker Burton ist höflich, als er vor dem Grand Hotel im dunklen Nadelstreifensakko aus der Limousine steigt: „Cannes ist mein Wunderland“, sagt er mit großer Brille und offenem Hemd. Mittwochabend muss er als Jury-Präsident bei der Eröffnungsgala Smoking tragen, ohne Johnny Depp oder Lebensgefährtin Helena Bonham Carter an seiner Seite. Oben, vor dem Kino-Saal Lumière, wird er auf einen zweiten radikalen Briten treffen: Ridley Scott eröffnet Cannes mit seinem gegen die romantisierende Tradition gebürsteten „Robin Hood“.
Aber auch wenn Russell Crowe und Cate Blanchett da sind – das Festival wirkt heuer etwas angeschlagen: Es fehlen die US-Blockbuster-Produktionen, die den Starrummel versprechen, der Cannes die größte jährliche Journalisten-Dichte der Welt beschert. Wenigstens haben einige Filmkünstler doch ein Staraufgebot dabei: Woody Allen bringt am Samstag Charlotte Gainsbourg mit wie auch Antonio Banderas, Anthony Hopkins und Naomi Watts, die auch mit Sean Penn in „Fair Game" im Wettbewerb mitspielt. Juliette Binoche ist das Cover-Girl des Festivalposters und Kate Beckinsale mit Benicio del Toro in der Jury.
Am Freitag kommt Oliver Stone 23 Jahre nach „Wall Street“ mit einer Art Fortsetzung nach Cannes, mit „Wall Street – Money Never Sleeps“, wieder mit Michael Douglas, ein Kommentar zur Finanzmarkt-Debatte. Den jungen Gier-ist-geil-Schlund spielt jetzt Teenie-Idol Shia La Beouf.
Adrian Prechtel