Schlafwandler mit Sehnsüchten
Schiller beweist im vollen Herkulessaal, der normalerweise der Klassik geweiht ist: Techno kann auch bestuhlt funktionieren
Wo geht es zu den Klangwelten? Diese Frage stellen sich einige fröstelnde Schiller-Fans, die vor dem Tambosi herumirren, bevor sie endlich den Weg zum ausverkauften Herkulessaal finden. Dabei will Deutschlands derzeit erfolgreichster Elektro-Künstler mit dem ungewöhnlichen Auftrittsort weder seine Münchner Konzertkenntnisse erweitern, noch seine Liebe zur Klassik beweisen.
Schiller, unermüdlicher Soundtüftler und cleverer Marketingstratege, geht nur konsequent den Weg weiter, den bereits sein letzter, zwiespältiger Gig im Zenith andeutete. Weg vom gefälligen, tanzbaren Global-Pop, hin zu blubbernden-Synthesizer-Harmonien. Zuckende Leiber, spektakuläre Videoprojektionen und stimmungsbefördernde Sängerinnen stehen Schillers Musiktraum von einer „romantischen Melancholie“ immer mehr im Wege. Konsequent verzichtet der scheue Glatzkopf im Herkulessaal auf all diese Spielereien, lässt sich nur von Christian Kretschmar am Synthesizer und Cliff Hewitt und Ralf Gustke an den elektronischen Drums begleiten.
Ein Streifzug aus elf Jahren Schiller-Instrumentalmusik steht auf dem Programm. Und so lassen sich die mal im schlichten Karohemd oder im schicken Abendkleid ausstaffierten Schillerianer bereitwillig vom „Sommerregen“ berieseln. Man schließt die Augen und lauscht dem watteweichen, kristallklaren Surroundsound der Seelenschmeichler-Synthie-Stücke. Selbst das Klatschen der Zuschauer scheint bald einem gleichförmigen Rhythmus zu folgen. Erst kurz vor der Pause kommt mit dem „Schönen Tag“ ein monumentaler Hallo-Wach-Effekt, verwandeln sich Kalt- wieder in Warmblüter, um sich an der Bar zu stärken.
Nach der Pause schwillt Schillers ausgeklügelter Klangteppich dramatisch an, bis sich die angestaute Fan-Energie in der Zugabe endlich in Mitklatschorgien und Standing-Ovations entladen darf.
Florian Koch
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