Salzburg: Lessings "Nathan" auf der Pernerinsel
Ulrich Rasche hat seine Theatermaschine stark zurückgebaut. Zwar rotiert Lessing bei der zweiten Arbeit des 54-Jährigen bei den Salzburger Festspielen gleichfalls wie alle seine Vorgänger im Technikpark des Regisseurs, aber ohne die skandierend marschierenden Chöre auf fliegenden Podesten und Laufbändern von frühindustrieller Monstrosität.
Auf der Perner-Insel in Hallein ist die Bühne eine Scheibe, deren drei konzentrisch zusammengefügte Teile sich synchron, aber auch gegenläufig drehen lassen. Drei bühnenhohe Säulen strukturieren den Raum immer wieder neu und sind mit Leuchtleisten ausgestattet, aus denen sich halbtransparente Wände aus Licht bauen lassen. Doch was hier leuchtet, ist nicht das Licht einer toleranten Aufklärung.
Mit seinem "Nathan der Weise" ist Ulrich Rasche so finster und unversöhnlich bitter wie kaum zuvor. Finsternis ist das bevorzugte Gestaltungsmittel. Nie wird vergessen, dass dieses Jerusalem im zwölften Jahrhundert ein Kriegsschauplatz ist.
Die christlichen Kreuzzügler und Besatzer des "Heiligen Landes", die besetzten muslimischen Herrscher wie der Sultan (Nicola Mastroberardino) oder seine wiederum ihn beherrschende Schwester Sittah (Almut Zilcher) und die jüdische Bevölkerung beäugen sich misstrauisch bis hasserfüllt.
Offensiv stellt sich der Regisseur auf die Seite seines Titelhelden, den er im letzten Bild, wenn sich die Konflikte wie in einer Komödie gelöst haben, trotzdem ängstlich mit einem leisen "Zu Hilf!" in völliger Dunkelheit verschwinden lässt. Die Botschaft von der Gleichwertigkeit der drei monotheistischen Religionen, für die Gotthold Ephraim Lessing vor 250 Jahren mit der zeitlos weisen Ringparabel so leidenschaftlich plädierte, ist das eine.
Das andere ist die höchst unfrohe Botschaft, dass der Antisemitismus in die DNA des christlichen Abendlands unauslöschlich eingeschrieben zu sein scheint. Diese These unterstützt Rasche im ansonsten weitgehend original erhalten gebliebenen Text mit eingefügten Zitaten des Philosophen Johann Gottlieb Fichte.
Dieser prominente Vertreter des deutschen Idealismus äußerte zwar, dass Juden durchaus Menschen seien, "aber ihnen Bürgerrechte zu geben, dazu sehe ich wenigstens kein Mittel, als das, in einer Nacht ihnen allen die Köpfe abzuschneiden, und andere aufzusetzen, in denen auch nicht eine jüdische Idee" sei.
Selbst die Musik, die früher bei Rasches Inszenierungen mit monumentalem Minimalismus so erhebend triumphale Momente schuf, nimmt sich bedrückt zurück. Nico van Wersch komponierte eine düstere bis bedrohliche Klangkulisse, die mur einmal laut und aggressiv wird. An dieser Stelle wirft der christliche Patriarch, der hier auf den gemischten Chor einer fundamentalistischen Meute aufgeteilt ist, dem jüdischen Kaufmann Nathan vor, eine christlich getaufte Waise als Tochter angenommen und im jüdischen Glauben erzogen zu haben. Das Urteil für diesen Frevel ist klar: "Der Jude muss brennen!"
Die folgenden Enthüllungen über die wahren Identitäten von Nathans Ziehtochter Recha (Julia Windischbauer) und dem ursprünglich muslimisch gewesenen Tempelherrn (Mehmet Ateggi) mit all den west-östlichen Familiendramen zwischen Europa und Orient bleiben die Schwäche des Stücks.
Da Rasche das "dramatische Gedicht" mit einem rhythmisch gespreizten Sprechen besonders artifziell zelebrieren lässt, ist dieses kolportagehafte Auftürmen von Zufällen und Unwahrscheinlichkeiten die größte Herausforderung für die Zuhörenden. Doch im Ganzen ist dieser Nathan ein großer Abend, der sich mit vier Stunden viel Zeit nimmt.
Durchaus ermattet applaudierte das Premierenpublikum zwar kurz, aber enthusiastisch. Der Jubel galt vor allem Valery Tscheplanowa als Nathan. Männer weiblich zu besetzen, ist zur Zeit ein Muss, um seine genderfluide Zeitgenossenschaft zu dokumentieren, hat aber selten zusätzlichen Erkenntnisgewinn. Doch Tscheplanowa macht mit einem ungeduldigen und gerne auch unbequem auftretenden guten Menschen eindrucksvoll den väterlich gütigen alten weißen Mann, an den wir uns gewöhnt haben, vergessen.
Perner-Insel, Hallein, heute, 2., 3., 5., 7., 9., 11., 12. August, 19.30 Uhr, Telefon 00436628045500
- Themen:
- Salzburger Festspiele