Rückkehr der Altmeister

John Le Carré liefert die Klassiker des politischen Kriminal- und Spionageromans. In seinem neuen Buch „Verräter wie wir“ warnt er vor dem Einfluss der russischen Unterwelt auf den Westen. Und im Interview erzählt der 79-Jährige, was seine legendäre Romanfigur George Smiley zu all dem gesagt hätte.
von  Abendzeitung

John Le Carré liefert die Klassiker des politischen Kriminal- und Spionageromans. In seinem neuen Buch „Verräter wie wir“ warnt er vor dem Einfluss der russischen Unterwelt auf den Westen. Und im Interview erzählt der 79-Jährige, was seine legendäre Romanfigur George Smiley zu all dem gesagt hätte.

AZ: Mr. Le Carré, sehen Sie Russland wieder als eine Gefahr für den Westen?

JOHN LE CARRÉ: Das Land ist zu schlecht organisiert, um als Supermacht militärisch gefährlich zu sein. Aber es hat das Problem einer gewaltigen Schere zwischen Arm und Reich. Die Schlauen haben ein Vermögen gemacht, indem sie ihr Land ausraubten. Ein großer Teil dieses Geldes ist hier im Westen. Und das ist eine eine moralische Gefahr für die westliche Gesellschaft.

Wie kann man ihr begegnen?

Wir können uns nicht richtig davor schützen. Der Westen selbst hat die wahre Natur des Kapitalismus entblößt. Was können wir da entgegenhalten, wenn es unser Ideal ist, raffgierig die Umwelt zu zerstören und die Nöte der Gesellschaft zu ignorieren? Wie können wir von den Russen ethische Standards einfordern, wenn wir selbst keine haben?

Sie sagen, Ihr Land sei besonders empfänglich für die Milliarden aus Russland. Warum?

Großbritannien ist pleite. Ein wenig schmutziges Geld kommt uns gelegen. Es ist aber nicht einfach nur irgendein Geld. Es ist Geld aus Drogenhandel, Menschenhandel, Erpressung, Waffenschmuggel. Es ist verrückt: Wir zahlen jedes Jahr gewaltige Summen an Sicherheitsbehörden, um das alles zu bekämpfen. Aber wenn wir das Gefühl haben, dieses Geld zu brauchen, lassen wir es rein. Wir halten den Russen Predigten über Menschenrechte und sagen andererseits: Egal, Hauptsache ihr gebt uns euer Geld und eure Naturschätze.

Und was ist mit den Gesetzen gegen Geldwäsche?

Ich fragte Bankiers: Wenn jemand aus Moskau kommt und 200 Millionen Dollar anlegen würde, was würdet ihr tun? „Wir sind doch keine Polizisten“, sagten sie. Wenn aber einer von uns bei denen mit 10000 Pfund im Koffer auftaucht, rufen sie die Polizei.

Während Gorbatschows Perestroika zeichneten Sie in „Das Russland-Haus“ ein hoffnungsvolleres Bild.

Ich hatte damals die naive Vorstellung, dass Ost und West eine neue Verbindung eingehen könnten. Das war eine romantische Illusion, so wie wir damals dachten, dass wir große Künstler oder Schriftsteller entdecken würden, wenn der Eiserne Vorhang fällt. Meisterwerke, die im Geheimen bei Kerzenlicht verfasst wurden. Es gab sie nicht. Denn Unterdrückung funktioniert.

Was hätte George Smiley, Ihre bekannteste Romanfigur, zu dem Ganzen gesagt?

Er wäre überzeugt, dass sich der Westen viel mehr Mühe mit Russland hätte geben müssen. Smiley würde auch versuchen, die Ställe daheim im Westen zu reinigen und diesen Durst nach russischem Geld zu unterbinden. Und er würde sagen, man kann den russischen Bären mögen, aber man muss auf der Hut sein, man kann ihm nie trauen. Der russische Bär wird immer ein Bär bleiben.

Sie sind ein Fan von Barack Obama. Haben die zwei Jahre seiner Präsidentschaft Ihre Meinung verändert?

Ich habe den Glauben nicht verloren. Ich verliere aber schnell den Glauben an die Fähigkeit Amerikas, sich selbst zu regieren. Die Kommunikationsmacht der rechten Lobby ist schlicht beängstigend.

Werden Sie immer pessimistischer?

Nun, ich überbringe selten gute Botschaften. Was die großen Herausforderungen angeht, sind wir gescheitert. Wir haben Banken in sozial nutzlose Organisationen der Selbstbereicherung verwandelt. Wir haben die Menschen nicht von den ökologischen Notwendigkeiten überzeugen können. Uns steht ein erbitterter Kampf um Ressourcen bevor. Wir sind an einem Punkt angelangt, an dem wir dringend eine internationale Ethik brauchen. Aber darauf warten wir eigentlich schon seit Anbeginn der Geschichte.

Andrej Sokolow

John Le Carré: „Verräter wie wir“ (Ullstein, 416 S., 24.95 )

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