Roberto Savianos neues Buch über den globalen Kokainhandel
Dies ist der Blick in eine Welt, die so irreal erscheint, dass sie auch durch Auflistung der Fakten kein bisschen verständlicher wird: In den 80er Jahren gab das Medellín-Kartell von Pablo Escobar monatlich 2500 Dollar für Gummibänder aus, nur um die Geldscheine bündeln zu können, die das Kokaingeschäft abwarf, etwa eine halbe Million Dollar täglich. 70 000 Tote kostete der seit knapp zehn Jahren schwelende Drogenkrieg allein in Mexiko. Und angeblich werden bis zu 60 Milliarden Dollar aus dem Drogenhandel allein in Deutschland jedes Jahr gewaschen.
Vielleicht hat deshalb der italienische Autor Roberto Saviano das Gefühl, Welt und Wirtschaft wären von mexikanisch-kolumbianischen Mafiabossen stärker bestimmt als wir uns auch nur im Ansatz vorzustellen vermögen. Der 34-jährige Geschwister-Scholl-Preisträger, der seit seinem Mafia-Bestseller „Gomorrha“ (2006) von der Polizei geschützt werden muss, hat für sein neues Buch „Zero Zero Zero“ Jahre lang die Welt des Kokainhandels durchforstet und seine eigene Situation und Frustration gleich mitgeliefert. Er widmet folgerichtig sein Buch den „Carabinieri meiner Eskorte für die 38 000 gemeinsam verbrachten Stunden“.
Dem Leser wird schwindlig
Mexiko, Kolumbien, Russland und Italien sind die Hauptschauplätze dieses Rundumschlags, der den Leser geradezu schwindelig werden lässt. Auch weil Saviano so häufig zwischen den Jahrzehnten umherspringt und lieber emotionalisiert, statt journalistische Distanz zu halten. US-Journalisten wie Mark Bowden („Killing Pablo“) oder Malcolm Beith („El Chapo“) haben weitaus stringenter Teilaspekte des Kokainhandels beschrieben. Aber Saviano will nicht nur das große Ganze, er selbst sieht sich als Gefangener einer Obsession, er sieht die Welt als Schneekugel: „Jetzt weiß ich, dass ich genauso besessen bin wie Kapitän Ahab“, schreibt Saviano in seiner bisweilen ausufernden pathetischen Metaphorik: „Das Kokain ist mein weißer Wal. Es ist genauso wenig zu fassen und durchpflügt alle Meere.“ Inzwischen sogar in U-Booten, mit denen mexikanische Kartelle die Ladungen durch den Pazifik oder die Karibik an die Küsten der USA steuern. Die amerikanische Drug Enforcement Administration (DEA) geht von einer Flotte von über 100 U-Booten aus.
„Ein Politiker, der arm ist, ist ein armseliger Politiker“, heißt die Devise eines legendären mexikanischen Drogenhändlers. Käuflich schien ihm, wie Saviano, die ganze politische Welt. Die Logik ist einfach: „Wenn du das Geld zählst, dann hast du entweder keines oder nicht genug. Nur wenn du es wiegen kannst, kannst du dir deines eigenen Gewichts sicher sein.“ Die Drogenbosse können sich ihres Gewichts sicher sein, auch wenn zur Logik ihres Geschäfts eine überschaubare „Amtszeit“ und ein gewaltsamer Tod gehört. In das kurzzeitige Machtvakuum stößt dann schnell ein neues Gesicht, oder – nach brutalen Machtkriegen und fürchterlichen Gemetzeln – ein neues Kartell. Auch wenn durch internationale Zusammenarbeit immer wieder nach langer Vorermittlung ein paar Tonnen Koks beschlagnahmt und ein paar Dutzend Mittelsmänner verhaftet werden, so bleibt der Markt stets vollkommen unverändert.
Ein einträgliches Geschäft
Denn solange die amerikanische, europäische und zunehmend die asiatische Mittel- und Oberschicht Unsummen für den Energiekick ausgibt, so lange bleibt Kokainhandel eines der einträglichsten Geschäfte der Welt. Deutschland ist dabei gleich in vielfacher Hinsicht ein „Eldorado“, wie Saviano schreibt. Der Markt ist groß, die Lage Dank vieler Grenzen günstig, das Problembewusstsein für mafiöse Strukturen noch immer gering.
Der Narcokapitalismus, der nicht nur Länder wie Mexiko und Kolumbien fest im Griff hat, scheint mit Razzien und Ermittlungen nicht verwundbar zu sein. So schließt Roberto Saviano sein Buch resignativ: „So fürchterlich es klingen mag, die völlige Legalisierung der Drogen könnte die einzige Antwort sein. (...) Um die immer größer werdenden Umsätze zu stoppen. Um den Krieg zu stoppen.“
Roberto Saviano: „Zero Zero Zero“ (Hanser Verlag, 480 Seiten, 24.90 Euro)
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