Rivalen im ewigen Eis

Derzeit erleben wir die heißesten Tage des Jahres.Zur Abkühlung geeignet ist Johannes Zeilingers Roman über die Nordpolforscher Cook und Peary, die erbittert um den Entdecker-Ruhm kämpften
Abendzeitung |
X
Sie haben den Artikel der Merkliste hinzugefügt.
zur Merkliste
Merken
0  Kommentare
lädt ... nicht eingeloggt
Teilen  AZ bei Google News

Derzeit erleben wir die heißesten Tage des Jahres.Zur Abkühlung geeignet ist Johannes Zeilingers Roman über die Nordpolforscher Cook und Peary, die erbittert um den Entdecker-Ruhm kämpften

Es war eine schicksalhafte Begegnung. Der junge Mann im schwarzen Anzug klingelte nervös an der Tür eines bürgerlichen Hauses in Philadelphia. Einen Moment später stand vor ihm der Marineingenieur und Polforscher Robert E. Peary: knapp zehn Jahre älter, groß, schlank, blaue Augen. Der junge Mann stellte sich als Frederick A. Cook vor, Arzt. Doch in seiner Praxis in Manhattan träumte er von Abenteuern im ewigen Eis. Die Gelegenheit war da: Sein Gastgeber suchte für eine neue ArktisExpedition einen medizinischen Begleiter. Im Sommer 1891 brachen Peary und Cook zu ihrer ersten Fahrt nach Nordgrönland auf.

Sie bewegten sich fortan „Auf brüchigem Eis“ – so nennt der Berliner Autor Johannes Zeilinger sinnbildhaft sein Buch über den Wettlauf zum Nordpol. Denn die Expeditionskameraden wurden erbitterte Gegner, die in zahlreichen Vorstößen zum Pol keine Gefahr scheuten, einander zu besiegen. Sie verkörperten musterhaft jene emphatische Männlichkeit, die der industrielle Aufbruch im 19. Jahrhundert wie ein psychisches Walzwerk aus der Gesellschaft herausgehämmert hatte: ehrgeizig, patriotisch, leistungsbewusst. Und die Pole waren die letzten unerschlossenen Regionen. Der Nordpol galt seit jeher als sagenumwobener Ort. Amerika war besessen von der Idee, dieses Ende der Welt zum Ruhme der Nation zu erobern.

Weltgeschichte schreiben

So lastete auf Peary, der als erfolgreichster Polforscher der Staaten galt, ein ungeheurer Erfolgsdruck. Doch auch Cook packte ein reißendes Verlangen nach Ruhm, als er bei einem zu beider Ehren gegebenen Festbankett erkannte, dass Peary alles daran setzen würde, als alleiniger Bezwinger der Arktis Weltgeschichte zu schreiben. Cook beschloss, ihm zuvorzukommen.

Anders als Peary, der die Macht der in der National Geographic Society versammelten Millionäre hinter sich hatte, stand Cook auf eigenen Füßen. Vielleicht trug genau deshalb der deutschstämmige Eroberer, der sich auf mehreren Polarfahrten als tüchtiger Seemann und interessierter Ethnologe erwiesen hatte, mit hoher Wahrscheinlichkeit den Sieg davon: Vor 101 Jahren, am 21. April 1908, stand Cook laut eigener Aussage als erster Mensch am Nordpol. „Nichts Erhebendes“, notiert er. „Doch welche Eintönigkeit von Himmel, Wind und Eis!“

Den letzten beißen die Schlittenhunde

Doch was für den Rivalen Peary nicht sein durfte, konnte auch nicht sein. Unterstützt vom Wirtschafts-Establishment, bestritt er in einer beispiellosen Kampagne die Glaubwürdigkeit von Cooks Bericht und erklärte sich zum Sieger – er hatte den Nordpol erst ein Jahr später, am 6. April 1909, erreicht. Cook aber galt bald als Schwindler.

Zeilinger entrollt auf seiner ereignisreichen Fahrt nicht nur das Panorama eines für seine Epoche typischen Wettkampfs. Er zeichnet auch eine Landkarte menschlichen Wesens: Zwischen den Polen Gut und Böse liegen Hochleistungen der Niedertracht, finden sich Wagemut, Wahnwitz und Verletzlichkeit.

Bernhard Viel

Johannes Zeilinger: „Auf brüchigem Eis. Frederick A. Cook und die Eroberung des Nordpols“ (Matthes & Seitz, 351 Seiten, 26.90 Euro)

  • Themen:
Lädt
Anmelden oder registrieren

Zum Login
Zu meinen Themen hinzufügen

Hinzufügen
Sie haben bereits von 15 Themen gewählt

Bearbeiten
Sie verfolgen dieses Thema bereits

Entfernen
Um "Meine AZ" nutzen zu können, müssen Sie der Datenspeicherung zustimmen.

Zustimmen
 
0 Kommentare
Bitte beachten Sie, dass die Kommentarfunktion unserer Artikel nur 72 Stunden nach Veröffentlichung zur Verfügung steht.
Noch keine Kommentare vorhanden.
merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.