Regie-Brillanz und Belcanto-Schillern
Festspiele: Donizettis „Lucrezia Borgia“ mit Premierenbesetzung im Nationaltheater
Immer wieder kommt einem an diesem Abend die missglückte „Aida“ in den Sinn: Auch Christof Loys Inszenierung beschränkt sich aufs Nötigste, verzichtet aber auf wohlfeil kritischen Senf. Auch Chargen sind erstklassig besetzt: Für Donizetti braucht man, anders als bei Verdi, keine dramatischen Stimmen, an denen es derzeit nicht nur im italienischen Fach mangelt.
Wie in der Premiere begleitete Bertrand de Billy mit dem Staatsorchester sorgfältiger als in landläufigen Donizetti-Vorstellungen. Alice Cootes dunker Mezzo und die androgyne Ausstrahlung machen die farbenreich singende Britin zur Idealbesetzung für Maffio Orsini. Silbern-schön brilliert Pavol Breslik als Gennaro. Franco Vassallo sang einen eleganten Dämon und spielte nach dem Willen der Regie den Alfonso als lächelnden Spießerschurken ohne Format. Erstaunlicherweise funktioniert diese Schizophenie.
Edita Gruberova ist ein Monument des Belcanto. Traditionell wird die Lucrezia Borgia mit reifen Primadonnen besetzt. Die Intrige wirkt jedoch nur dann glaubhaft, wenn sie als Mutter wie als Geliebte Gennaros durchgehen könnte. In hoher Lage ist die Stimme der 62-Jährigen bewundernswert intakt. Am anderen Ende der Tonleiter greift die Slowakin zu gruftig-fahlem Sprechgesang, mit dem sie am Ende die Lucrezia in eine dämonische Greisin verwandelt. Dieser Mut zur Hässlichkeit entfernt sich von der eigentlichen Belcanto-Ästhetik weit. Die Bereitschaft der Künstlerin, sich auf Loys Inszenierung einzulassen und den an der Stimme nagenden Zahn der Zeit in Ausdruckswerte umzumünzen, verdient höchsten Respekt.
Robert Braunmüller
3sat sendet eine Aufzeichnung am 25. Juli um 20.15 Uhr
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