Radikale Klangvision

Salzburger Festspiele: Ungewohntes von Riccardo Muti und den Wiener Philharmonikern
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Salzburger Festspiele: Ungewohntes von Riccardo Muti und den Wiener Philharmonikern

Diese Musik fängt da an, wo Alban Bergs „Drei Orchesterstücke“ aufhören. Von dort stößt der von Strawinskys Barbarismus inspirierte Edgard Varèse bis zur Grenze elektronischer Klänge vor. „Arcana“ ist ein Klassiker des 20. Jahrhunderts, aber so ziemlich das Gegenteil dessen, was man von den Wiener Philharmonikern unter Riccardo Muti im Großen Festspielhaus erwarten würde.

Doch Gegensätze können reizvoll sein. „Arcana“ wurde 1927 vom Philadelphia Orchestra uraufgeführt, und als dessen ehemaliger Chef hat Riccardo Muti das Stück im Repertoire. Zum Abschluss der Konzertreihe „Kontinent Varèse“ glückte ihm eine kompromisslose Aufführung dieses für Normal-Hörer immer noch harten Brockens. Er versuchte nicht erst, ihn der seidig-runden Klangkultur der Wiener zuliebe anzuschleifen oder zum Reißer zu verkleinern.

Die Philharmoniker spielten hochkonzentriert auf der Stuhlkante und machten die Widersprüche produktiv: Wie bei Luigi Nonos „Al gran sole“ in der Felsenreitschule gelang ihnen der Umschlag vom Schwierigen ins Schöne. Was bei weniger sicheren Musikern leicht in grellen Lärm abgleitet, wurde als radikale Klangvision spürbar.

Den Versuch war es wert

Nach der Pause nahm sich Muti mit Liszts „Faust-Symphonie“ einen weiteren heiklen Fall vor. Es ist schon paradox: Die Klaviermusik dieses Komponisten wirkt orchestral, doch die Orchesterwerke klingen wie ein schwach instrumentierter Klavierauszug. Im ersten Satz, Fausts Zerrissenheit darstellend, gibt es brucknerhafte Steigerungen, die jedoch die ekstatische Befriedigung versagen und die Grimasse zeigen. Das ist intellektuell interessant, aber nur sehr schwer zu lieben.

Reizvoller sind der Gretchen-Satz und der wüste Höllenzauber des Mephistopheles, der unvermittelt in ein bombastisches Chorfinale mit Tenorsolo übergeht. Muti, der Solist Michael Schade und die Herren des Wiener Staatsopernchors präparierten die französische Eleganz dieser Musik heraus. Aber mehr als der noble Versuch einer Ehrenrettung konnte dabei nicht herauskommen. Den Versuch war es wert. Wer will schon immer auf Nummer sicher gehen?

Robert Braunmüller

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