Radikal junger Superman

Kammerspiele: Armin Petras’ überdrehte Inszenierung von Ibsens „John Gabriel Borkman” funktioniert nur bis zur Pause
Gabriella Lorenz |
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Nackt steht Erhart da, schwenkt den Pimmel, als wär's eine Sektflasche nach einem Formel-1-Sieg und schreit: „Ich bin jung, radikal jung... Ich kann mein Leben nicht mit euren Problemen versauen.” Klare Absage an Vater, Mutter und Tante, die ihn alle für ihre Ziele einspannen wollen. Der Korpsstudent schlüpft ins Superman-Kostüm und verkündet in einem Monolog, der nicht bei Ibsen steht, sein von Regisseur Armin Petras formuliertes künstlerisches Credo: „Nur keine Geschichten mehr erzählen – unerträglich... Es geht darum, Geschichten zu unterbrechen und damit neue Verläufe zu finden... Kümmere dich nicht um Stil, sondern darum, was du sagen willst.” Daran hielt sich Petras bei Henrik Ibsens Drama „John Gabriel Borkman” in den Kammerspielen. Nach einer furiosen ersten Hälfte verläuft sich seine Inszenierung stilistisch unbekümmert in die Groteske und Karikatur. Erstaunlicherweise gab's bei der Premiere nur Applaus.

Der Banker John Gabriel Borkman hat für seine Vision der Erschließung von Bodenschätzen Millionen verzockt und Tausende Anleger ruiniert. Nach dem Knast lebt er seit acht Jahren im selbstgewählten Hausarrest und träumt vom Comeback. Seine Frau Gunhild und sein Sohn Erhart meiden ihn, nur der Amateurdichter Foldal und dessen klavierspielende Tochter besuchen ihn. Bis Gunhilds Schwester Ella, Borkmans frühere Liebe, in seine Isolation einbricht und Vergangenes aufrührt.

Ein Sturm wirbelt immer wieder Papierblätter auf die Bühne – wertlose Aktien vielleicht oder Kinderzeichnungen. Das Bühnenbild ist eine Wucht: Olaf Altmann klatscht die engen Gänge eines Bergwerks in expressionistischem Zickzack an eine Metallwand. Ein Bergwerk verschütteter Gefühle. In den schrägen Stollen kann man nur kauern, kriechen, klettern, rutschen und sich blutig schrammen. Wer in große Gesten ausbrechen will, seilt sich an. Nur Borkman hat oben noch Kopffreiheit: André Jung spielt ihn grandios fahrig, arrogant und großspurig, jeder Einsicht entrückt.
Die so aktuell scheinende Finanz-Crash-Story interessiert Petras wenig – auch für Ibsen war sie 1896 nur Folie für die Vernichtung von Menschen durch Geldgier. Deren Gegenpol ist ihre Lebensgier. Zwischen der in Rachegedanken verhärteten Gunhild (Cristin König) und der nicht selbstlosen Wohltäterin Ella (großartig: Wiebke Puls) tobt Zickenkrieg, der Ton ist hitzig, aufgeregt, aggressiv. Unter Schwestern prügelt man sich auch mal, ehe man gemeinsam den einzigen Sessel besetzt. Bis zur Pause ist der exaltierte Furor der Spielweise mitreißend.

Dann ändert sich die Spielhaltung, die Manierismen aber bleiben: Nun wollen die Darsteller frontal die Zuschauer zu Komplizen machen. André Jung spricht seinen Borkman frei von Schuld, Cristin König heischt mit jeder Bosheit Zustimmung, Lasse Myhr zieht Erharts Nackt- und Superman-Show ab. Artgerechte Haltung bewahren nur Wiebke Puls, deren Ella fast fröhlich erklärt: „Ich sterbe”, sowie Hildegard Schmahl als Erharts Senioren-Geliebte Fanny mit hellwacher, souveräner Abgeklärtheit. Michael Tregor hingegen macht seinen Foldal schon anfangs mit einer erfundenen Karl-May-„Szähne” aus Foldals Dichtung zur Lachnummer und gibt dann einen in Papp-Beinschienen staksenden Unterhosen-Clown, dem es nicht zu peinlich ist, „Lear” zu zitieren. Seine Cordelia ist Tochter Frieda: Aufmüpfig schmettert Hanna Plaß am Flügel auch Rio-Reiser-Songs. André Jung improvisiert und wird in Containern winkend herumgeschoben, ehe Borkman zum mortalen Gipfelsturm ansetzt. Aber da passt der Tod schon längst nicht mehr in Petras' verwitzeltes Konzept.

Kammerspiele, 23., 29. Feb., 10., 22., 25., 29. März, 19.30 Uhr, Tel. 233 966 00

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