Rabenschwarze Liebe
Sunnyi Melles rast, räsoniert und liebt exaltiert: Jean Racines Tragödie „Phädra“ als grandioses Schauspielertheater, inszeniert von Matthias Hartmann bei den Salzburger Festspielen
Regisseur Matthias Hartmann und seine Protagonistin Sunnyi Melles können es, ebenso streng wie furios: Sie und das gesamte Ensemble wurden bei der Salzburger Festspiel-Premiere lautstark mit Ovationen gefeiert. Wiener Bühnenfans können die Salzburg-Koproduktion mit dem Burgtheater ab 8. September im Akademietheater sehen, die Münchner müssen auf ein Gastspiel ihres Lieblings Sunnyi Melles hoffen.
Waidwund taumelt diese Phädra auf die Bühne, fast schon der Agonie ihres Liebeswahns erlegen. Halb ohnmächtig stürzt sie rückwärts in die Arme ihrer Amme und Vertrauten Önone, die endlich den Grund der Todessucht herauskitzelt: Phädra, Gattin des seit Monaten abwesenden Königs Theseus, ist unsterblich verliebt in ihren keuschen Stiefsohn Hippolytos. „Ich liiiiieebeee“, schreit Sunnyi Melles verzweifelt und will an dieser verbotenen Liebe sterben.
Starke Szenen und starke Schauspieler
Doch die Nachricht vom vermeintlichen Tod Theseus' lässt in ihr alle Dämme des Anstands und der Scham brechen. Sie wirft sich dem jungen Mann, den sie zuvor aus Angst vor ihrer Liebe befeindet und verbannt hat, an den Hals. Sunnyi Melles spielt diese Schlüsselszene mit elementarer sexueller Wucht: Sie reißt Hippolytos’ Brille ab, drängt ihm ihre Küsse auf, ihre Hände wühlen sich unter sein Hemd und in seine Hose, sie sinkt an ihm herunter, ihr Gesicht an seinem Geschlecht.
Hippolytos erwehrt sich dieser ungestümen Offenbarung mit äußerster Verlegenheit: Philipp Hauß oszilliert wunderbar zwischen Schüchternheit gegenüber seiner angebeteten Arikia (Sylvie Rohrer) und der Entschlossenheit, mit der er sie zu kaschieren versucht. Bühnenbildner Johannes Schütz zwingt auf einer portalbreiten Drehwand mit weißer und schwarzer Seite die weiße Sonne der Leidenschaft und die schwarze Sonne der Zerstörung in Phädras Wesen zusammen. Wann immer die Wand sich dreht, ertönt unheilvoll Neptuns Meeresrauschen, das Hippolytos vernichten wird.
Dem strengen Bühnen-Schwarzweiß über einem nackten Laufsteg darf nur Önone in den heutigen Kostümen ein rotes Poloshirt entgegensetzen. Diese Figur hat Racine (gegenüber den Vorlagen von Euripides und Seneca) als Alter Ego hinzuerfunden, um Phädra von ihren bösen Seiten zu entlasten. Gebückt, alert, glänzt Therese Affolter als fanatisch ergebene Dienerin mit politischem Durchblick. Auf dieser minimalistisch-puristischen Bühne steht jeder Schauspieler für sich: Paulus Manker als gefährlich-gelassener Machtmensch Theseus, der sich selbst betrügt, den Sohn verurteilt und seine ihre Schuld bekennende, sich in Giftkrämpfen windende Gattin im Tode küsst. Und Hans-Michael Rehberg, der als Hippolytos’ Erzieher Theramenes am Ende grandios den Hinrichtungsboten macht.
Aber vor allem gehört diese Aufführung Sunnyi Melles, die sich an diese Phädra mit unglaublicher Exaltiertheit traut, ohne in der strengen Regie von Matthias Hartmann je die Balance zu verlieren. Ob sie mit Hippolytos’ Dolch, den sie ihm entwunden hat, beinahe masturbiert, ob sie Önones Verlockungen von Krone und Zepter folgt, ob sie rast oder räsoniert – Sunnyi Melles kann das alles von einer Sekunde zur anderen mit unglaublicher Überzeugungskraft.
Gabriella Lorenz
Salzburger Landestheater, 20. bis 22., 24., 25., 27. bis 29. 8., 19.30 Uhr, Tel. 0043 662 8245 500
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