Qualen der Sehnsucht
Andreas Wiedermann findet im Marstall starke Bilder für Sarah Kanes „Gesäubert“
Die Schauspieler lachen viel in dieser Aufführung im Marstall – und das erwartet man nicht bei einem Stück von Sarah Kane. Allerdings ist es nicht immer ein gelöstes, fröhliches Lachen, sondern oft ein hysterisches oder verzweifeltes, das in Andreas Wiedermanns Inszenierung von „Gesäubert“ nah beim Weinen liegt. Der 30-Jährige Regisseur, der mit anspruchsvollen freien Projekten auf sich aufmerksam machte, beweist in seiner ersten Arbeit am Staatsschauspiel präzises Handwerk und sensibles Formbewusstsein.
Jeder muss für seine verbotenen Lüste bezahlen
Über bröckelnde Betonplatten und zerstreute Bücherhaufen regnet es schwarze Asche (Bühne, Kostüme: Violaine Thel). An diesem Niemands-ort suchen sechs Personen nach Liebe, nach Verschmelzung mit dem Du. Carl (Franz Josef Strohmeier) schwört seinem Lover Rod ewige Treue – und verrät ihn unter Schlägen. Dafür wird er verstümmelt. Rod (Christian Higer) dagegen geht für Carl in den Tod. Grace (Nicole Lohfink), will nichts anderes, als sich in ihren geliebten toten Bruder Graham (Georg Hobmeier) zu verwandeln, der sich als Wiedergänger mit ihr vereinigt. Der leicht debile Robin ist rührend kindlich verliebt in Grace, in deren Kleidchen er grotesk herumläuft – Jörg Malchow spielt das beeindruckend. Jeder bezahlt seine verbotenen Lüste mit Folter, Qual oder Vergewaltigung, ausgeführt vom Arzt und Spielmacher Tinker (Herbert Schäfer), einem zynischen, aber auch zärtlichen Schergen mit Spritzen und Hackebeil. Auch er sucht Liebe – bei einer Peepshow-Tänzerin (Susanne Meyer), die unerreichbar auf der Galerie an der Stange tanzt.
Liebesakte ohne jede Peinlichkeit
Wiedermann liest das schockierende Stück, das Sarah Kane 1997 schrieb, als große Wunschfantasie einer Glückssehnsucht, die logischerweise in Verzweiflung endet. Er inszeniert die monströse Gewalt streng formalisiert ohne einen Tropfen Kunstblut, manchmal sogar ohne Körperkontakt in eindringlichen Bildern. Die Liebesakte sind ohne jede Peinlichkeit so ästhetisch stilisiert – als Pietà oder als Tanz der Befreiung –, dass sie trotz völliger Nackheit keusch wirken. Eine starke Leistung, auch der Schauspieler.
Gabriella Lorenz
Marstall, 25., 30. und 31. März um 20 Uhr, 12. und 13. April um 19 Uhr, Tel.21851940