Psychologie einer Feindschaft

Die Kammerspiele zeigen einen Theaterabend mit russischen und ukrainischen Darstellern
Mathias Hejny |
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Der zweite Teil von "Zuhause" in den Kammerspielen.
Maurice Korbel 2 Der zweite Teil von "Zuhause" in den Kammerspielen.
Kamile Gudmonaite wurde 1992 in Vilnius geboren, wo sie an der örtlichen Musik- und Theaterakademie Regie studierte.
2 Kamile Gudmonaite wurde 1992 in Vilnius geboren, wo sie an der örtlichen Musik- und Theaterakademie Regie studierte.

Die Proben sind intensiv und brauchen viel Psychologie, Gespräche und Diskussion" erklärte Kamilé Gudmonaite beim Beginn der Endproben für "Zuhause". So ähnlich könnten sich vermutlich viele Regisseurinnen über ihre Arbeit äußern, die an einer "musikalisch-tänzerischen Gratwanderung" arbeiten. Aber die 31-Jährige aus Litauen hat mit den Münchner Kammerspielen ein Projekt angeschoben, das schon von seiner Idee her atemberaubend ist: Ein Theaterabend mit Menschen in München aus Russland und aus der Ukraine, die schon vor Jahrzehnten, aber auch erst vor Kurzem geflüchtet sind.

Doch zu Hause in Vilnius oder in der estnischen Hauptstadt Talinn, wo sie immer wieder arbeitet, wäre ein solches Vorhaben völlig undenkbar. Wenn es um Russland geht, bestehe dort eine Cancelkultur, die auch politisch so gewollt sei, berichtet sie. Sie ist zwei Jahre jünger als das unabhängige Litauen. Damit wurde sie erzogen von einer Elterngeneration, die von der Sowjetunion geprägt war, und erwachsen wurde sie unter Altersgenossen, die sich an eine liberale, demokratische Gesellschaft gewöhnt haben.


Das postsowjetische Trauma haben auch die jüngeren Menschen im Baltikum trotzdem noch immer nicht abgeschüttelt. Natürlich stehe man im aktuellen Konflikt auf Seiten der Ukrainer. "Das hat mich zu der Frage geführt, wie man damit umgehen soll", erinnert sich die Theatermacherin, die trotz ihrer Jugend über einige Erfahrungen nicht nur im Baltikum verfügt. Stationen in Deutschland waren und sind Freiburg, Berlin und München.

Befragt man sie nach den wichtigen Unterschieden der Theater hier und in ihrer Heimat, fällt ihr der hohe Organisationsgrad in Deutschland auf: "Hier werden sogar die Pläne geplant", fiel ihr auf. Auch habe man hier ein anderes Verhältnis zur Arbeitszeit. Während man dort einfach bis weit in die Nacht proben könne, sei das hier anders. Aber sie habe das zu schätzen gelernt. Die Pünktlichkeit, die Planungen und Regelungen zeigten den Respekt vor den Künstlern und denen, die im Umfeld arbeiten.

Das Umfeld und das, was mit dem Ensemble hinter der Bühne passiert, ist hier von höchster Bedeutung. Auf Wunsch vor allem der ukrainischen Mitwirkenden werden beide Nationalitäten getrennt. Letztlich aber sei es die Entscheidung jeder und jedes Einzelnen, ob es zu einem Treffen kommen und wie weit es gehen kann. Die Kammerspiele hätten aber die Voraussetzung geschaffen, die nationale Trennung möglich zu machen.

Das macht auch die strikte Zweiteilung der Produktion sichtbar. Die Ukrainer, die am Beginn auftreten, bilden einen Chor und singen Lieder ihrer Heimat. Dazu kommen Videoeinspielungen von Interviews, die mit Exilanten aus der Ukraine geführt wurden. Den zweiten Teil bestreiten Aussagen von Russen und eine Compagnie, die russische Tänze aufführt. Auf beiden Seiten bestünden große Risiken. Während die Ukrainer Gefahr laufen, von ihren eigenen Landsleuten zu Hause missverstanden zu werden, riskieren die Russen das Wohlergehen ihrer Familien und Freunde nicht nur in Russland, sondern sogar hier in München.


Was diese Begegnung der Kriegsgegner bedeutet, macht Gudmonaite in einer Erklärung deutlich, die sie vor einigen Tagen gab. Nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine im Februar 2022 habe sie bemerkt, "dass ich bei jeder Begegnung mit einem russischen Menschen körperliche Reaktionen voller Wut, Frustration und Schmerz bekam." Und weiter: "Kann ich mit Menschen sprechen, vor denen ich Angst habe? Was haben sie mit meiner Angst zu tun? Was verbirgt sich hinter meiner Angst?"

Das klingt nach Psychoanalyse, und Kamilé Gudmonaite bringt tatsächlich die Gestalttherapie ins Gespräch, die sich von Sigmund Freuds Lehre herleitete und sie weiter entwickelte. Ziel sowohl der Therapie als auch des Stücks sei nicht, ein Problem zu lösen, sondern den Patienten so weit zu bringen, dass er erkennt, wo genau er gerade ist.

Damit beantwortet die Regisseurin auch die Frage, warum sie für "Zuhause" nicht ein Happy End mit einer versöhnlichen Utopie, die im Theater möglich wäre, entwirft. Aber sie denkt realistisch und ist gerade deshalb zufrieden: "Alleine, dass das hier stattfinden kann, ist eine utopische Option".

Kammerspiele, Schauspielhaus, Premiere am 13.10, nächste Vorstellungen im Oktober: 14., 22. und 23. um 20 Uhr, Telefon 233 96 600

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  • BLANCHE am 12.10.2023 19:47 Uhr / Bewertung:

    Sowie Meda tragedie ' ?

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