Prüdes Königreich
Die Kunstwelt rätselt über den Beschluss der Londoner Verkehrsbetriebe, ein Plakat für die große Cranach- Ausstellung der Royal Academy zu verbieten. Warum Cranachs Nackte in München Werbungmachen dürfte.
Prüderie, politische Korrektheit oder einfach nur Idiotie? Die Kunstwelt rätselt über den Beschluss der Londoner Verkehrsbetriebe, ein Plakat für die große Cranach-Ausstellung der Royal Academy zu verbieten: Die Venus aus dem 16. Jahrhundert ist unverhüllt. So viel nackte Haut könnte Reisende in der „Tube“ verstören. Kritiker sind entgeistert, dass das alte Gemälde eines deutschen Meisters ein öffentliches Ärgernis darstellen kann.
Auch Michael Buhrs, Leiter der Villa Stuck und damit „Chef“ über die wunderbare „Sünde“ des Münchner Malerfürsten, wundert sich: „Wir bereiten für die Münchner ein besonders sinnliches Frühjahr vor, mit der Austellung ,True Romance’ über Allegorien der Liebe von der Renaissance bis heute. Eine geballte Ladung Erotik ganz im Sinne unseren Hausherrn Stuck“, verspricht Buhrs. Selbstverständlich werden die Ausstellungen in ganz München plakatiert.
Auch die Münchner Verkehrsbetriebe können ihre Londoner Kollegen nicht verstehen: „Über Werbeplakete wird bei der MVG im Einzelfall entschieden“, erklärt Christian Miehling von der MVG. „Im Allgemeinen gilt: Die Werbung darf nicht gegen gesetzliche Vorschriften verstoßen. Sie darf nicht Gewalt verherrlichend oder diskriminierend sein und allgemein nicht gegen die guten Sitten verstoßen. Grundsätzlich untersagt ist politische Werbung, Werbung von oder für Sekten sowie Werbung, die dazu geeignet ist, religiöse Gefühle anderer zu verletzen. Nach diesen Maßgaben würden wir das Londoner Plakat nicht ablehnen.“
In Deutschland entscheidet in Form der freiwilliger Selbstkontrolle der Deutsche Werberat in Berlin, ob eine grundsätzlich gesetzlich erlaubte Werbung nicht doch „unerwünscht“ ist.
Pressesprecher Volker Nickel hat zur Cranach-Venus ein klare Position: „Das konnte nur in England mit seiner prüden victoriansichen Tradition passieren. Wir würden den Antrag, die Venus abzuhängen, gar nicht zur Entscheidung zulassen, so abwegig ist das!“ Denn Nacktheit sei an sich überhaupt kein Problem, solange niemand herabgewürdigt werde. Und wenn religiöse Gefühle verletzt würden? „Im Islam gibt es die Kultur der Verhüllung“, analysiert Nickel: „Aber bei uns muss doch der Maßstab unserer Gesellschaft gelten.“
Die größte Gefahr für die gewachsene liberale Mentalität in Deutschland kommt für Nickel aber letztlich aus Brüssel: „Die haben die Debatte über die Politische Korrektheit nach Europa importiert und betreiben einen Regelungsterror.“ vi/adp
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