Premiere im Nationaltheater: Fidelio - aber anders

Ein provokanter Spanier inszeniert Beethovens "Fidelio", glaubt an die Rettung durch die Liebe und hofft, dass sich das Publikum nicht sperrt. Die ersten Vorstellungen an der Oper sind ausverkauft!
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Ein provokanter Spanier inszeniert Beethovens "Fidelio", glaubt an die Rettung durch die Liebe und hofft, dass sich das Publikum nicht sperrt. Die ersten Vorstellungen an der Oper sind ausverkauft!

Er gilt als zorniger, wilder Mann der Opernregie. Im persönlichen Gespräch erweist sich Calixto Bieito allerdings eher als sanfter, leise sprechender Mann. Neun Jahre nach Shakespeares "Macbeth" an den Kammerspielen kehrt er nun mit Beethovens "Fidelio" nach München zurück.

AZ: Herr Bieito, Sie werden fast immer ausgebuht. Mögen Sie das?

CALIXTO BIEITO: Ich hasse es! Eigentlich wünsche ich mir, dass meine Arbeiten den Leuten gefallen. Aber in letzter Zeit haben die Proteste nachgelassen.

"Fidelio" spielt in einem politischen Gefängnis. Bringen Sie Guantanamo auf die Bühne?

Ich wollte "Fidelio" nicht in die Franco-Zeit oder den Nationalsozialsmus verlegen, weil sich dies meiner Erfahrung entzieht. Ich verstehe Beethovens Oper als humanistisches Poem. Der ganze Abend dreht sich um Liebe, Treue, Verwirrung, Gesetzlosigkeit, Depression. Diese Gefühlszustände sind die Gefängnisse der westlichen Welt.

Wie stellen Sie das dar?

Die Handlung spielt in einem Labyrinth. Es ist ein starkes Symbol aus dem 18. Jahrhundert. Aber es passt gut zu uns. Wir sind Gefangene und leben in einer Zeit geistiger, politischer und ökonomischer Verwirrung. Niemand weiss, wer der Boss ist. Zwei Schriftsteller haben diese Situation besonders gut beschrieben: Franz Kafka und der Argentinier Jorge Luis Borges.

Wie halten Sie es mit den Dialogen?

Beethovens Musik ist genial, doch die gesprochenen Texte halte ich für problematisch. Ich habe sie gestrichen und durch kurze Ausschnitte aus Jorge Luis Borges' "El laberinto" und "Die Bibliothek von Babel" ersetzt, die von den Sängern gesprochen werden. Es gibt ausserdem noch einen weiteren dramaturgischen Eingriff: Die Aufführung beginnt mit der dritten "Leonoren"-Ouvertüre. Vor dem zweiten Finale wird das Adagio aus dem Streichquartett op. 132 gespielt. Es ist für mich die Essenz aus Beethovens Musik und fasziniert mich, seit ich 15 bin.

Viele Regisseure misstrauen der Utopie des Opernfinales. Sie auch?

Ich glaube an Liebe, an die Kunst und eine bestimmte Art von Spiritualität. Sonst könnte ich nicht leben. Leonore und Florestan klammern sich im Duett "O namenlose Freude" und im Finale geradezu verzweifelt an ihre Liebe. Es ist immer sehr schwierig, nach einer solch langen Trennung zueinander zu finden. Das weiss man von Leuten, die von der baskischen Terror-Organisation ETA entführt wurden. Es war sehr schwer für sie, wieder ein neues Leben zu beginnen. Aber ihnen blieb nichts anderes übrig, als es sich einzureden.

Es heisst immer wieder, Sie seien Katalane. Stimmt das?

Ich stamme aus dem Norden Spaniens. Das ist eine sehr kalte Gegend. Der dortige Katholizismus, die Jesuitenschule, Gemälde von Hieronymus Bosch und Francisco de Zurbaran haben mich ebenso geprägt wie die Filme von Luis Bunuel. Als 15-Jähriger kam ich nach Barcelona. Ich habe meiner Frau auf Katalanisch eine Liebeserklärung gemacht. Wir sprechen in dieser Sprache zu Hause mit unseren Kindern. Unsere Familie ist typisch für das kulturelle Chaos Spaniens - aber im positiven Sinn.

Der katalanische Separatis-mus wirkt auf uns befremdlich.

Das verstehe ich. Ich bin kein Nationalist. Der Separatismus in Katalonien hat viel mit wirtschaftlichen Dingen zu tun. Wäre Spanien viel stärker föderal organisiert, gäbe es das Problem gar nicht.

Robert Braunmüller

Premiere heute, 19 Uhr, im Nationaltheater. Auch am 26., 29. Dezember sowie 1., 5., 8. Januar. Alle Vorstellungen sind ausverkauft

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